Ein Jahr StaRUG – eine positive Bilanz

Die Scheinsicherheit in den Finanzierungsstrukturen in Verbindung mit Kreditschwemme und Nullzinspolitik trifft jetzt auf den Paradigmenwechsel des StaRUG.
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Mehr als ein Jahr ist nun in Deutschland der neue Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz – StaRUG) in Kraft. Mitten in der Coronapandemie bekamen Restrukturierer und Insolvenzverwalter ein neues Werkzeug. Wir haben erfahrene Profis gefragt, was sie von den neuen Möglichkeiten halten.

Eines der besonderen Charakteristika des neuen StaRUG ist Diskretion. Die Beantragung einer solchen gerichtlichen Einigung und auch deren Abschluss müssen nicht veröffentlicht werden. Was im vergangenen Jahr passiert ist, fand also oftmals hinter verschlossenen Türen statt – und das war vom Gesetzgeber auch so beabsichtigt. Einzig beim Unternehmen Eterna Mode Holding GmbH gab es eine Ausnahme, denn hier wurden Verhandlungen über den geplanten Schuldenschnitt und die Restrukturierung von Anleihen nahezu öffentlich geführt.

„Nur“ 22 Fälle im vergangenen Jahr

Wolfram Lenzen
Wolfram Lenzen

Das Insolvenz-Fachmagazin INDat Report gab zum Beginn des Jahres bekannt, dass es für das Jahr 2021 von 22 Anträgen auf ein StaRUG-Verfahren ausgeht. Basis war eine Befragung von allen 24 Restrukturierungsgerichten in Deutschland. Auf den ersten Blick erscheint diese Zahl sehr gering, aber es gibt gleich mehrere mögliche Erklärungen dafür.

Eine unserer Erfahrungen war, dass das Instrument ´StaRUG´ außerhalb der Restrukturierungsbranche noch nicht weitreichend bekannt ist. Dies liegt naturgemäß an dem besonderen Anwendungsspektrum sowie der erst einjährigen Einführung“, erklärt Wolfram Lenzen, Partner bei Falkensteg. Das neue Instrumentarium hat sich wohl noch nicht ausreichend herumgesprochen. Eine weitere naheliegende Erklärung ist die allgemein sehr niedrige Zahl von Insolvenzen seit dem Ausbruch der Coronapandemie. Bei Ausbruch der Krise hatten viele Experten mit einer Welle von Insolvenzen gerechnet, stattdessen läuft seit zwei Jahren ein vergleichsweise schmales Rinnsal.

“Trumpfkarte” StaRUG

Prof. Georg Streit
Prof. Georg Streit

Schließlich könnte aber auch der wahre Erfolg des StaRUG darin liegen, dass es überhaupt existiert. „Bei der Darstellung und Abwägung der Möglichkeiten mit den Entscheidungsträgern gehen wir selbstverständlich auf die Option eines außerinsolvenzlichen, teilkonsensualen Restrukturierungsverfahrens ein. Im Kollegen- und Bekanntenkreis wird entsprechendes berichtet. Eröffnete StaRUG-Verfahren sind vergleichsweise selten, eine Beachtung und Erörterung der Möglichkeiten des StaRUG im Rahmen der Beratungen erfolgt aber regelmäßig. Den Beteiligten ist die Möglichkeit der Nutzung der Instrumente des StaRUG zur Restrukturierung der Verbindlichkeiten des Schuldners in aller Regel bewusst“, sagt dazu Prof. Georg Streit von der Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek. Das bedeutet also, dass das StaRUG quasi als Trumpfkarte bei Verhandlungen um eine Restrukturierung auf dem Tisch liegt. Als letzte Konsequenz steht das neue Gesetz zur Verfügung.

Thomas Zubke v. Thünen
Thomas Zubke v. Thünen

Konkret hat dies Thomas Zubke v. Thünen von der Hanse Consulting erlebt: „In einem Mandat drohte der geschäftsführende Mehrheitsgesellschafter dem nicht aktiven Minderheitsgesellschafter mit einem StaRUG-Verfahren“. An einen ähnlichen Fall erinnert sich auch sein Kollege Andreas Lau. In Verhandlungen mit Banken über die Verlängerung einer Finanzierung konnte eine einjährige Fristverlängerung mit einem „Hinweis“ auf die Möglichkeiten des StaRUG erreicht werden: „Unsere Argumentation beförderte, dass die Hausbanken einer Prolongation um zwölf Monate zustimmten“.

Prof. Lucas Flöther
Prof. Lucas Flöther

Ähnliches berichtet auch Prof. Dr. Lucas F. Flöther von der Kanzlei Flöther & Wissing und Sprecher des Gravenbrucher Kreises, der an der Vorprüfung und Vorbereitung von StaRUG-Verfahren beteiligt war, zu denen es dann letztlich gar nicht gekommen ist: „Die Beteiligten haben doch noch eine einvernehmliche Lösung gefunden. Und wenn eben dies geschieht – dass man ´Akkordstörer´ bereits mit der Drohung der Anwendung des Gesetzes ´einfängt´ – kann man ja durchaus von einem ziemlich erfolgreichen Gesetz sprechen“.

 

Zu früh für eine Bilanz?

Jan Hendrik Groß
Jan Hendrik Groß

Nach lediglich zwölf Monaten StaRUG unter einer Sonderkonjunktur mit staatlichen Hilfsprogrammen und einer Quasi-Aussetzung der Kurzarbeiterregeln fehlt aber vermutlich dennoch eine ausreichende Basis von zu beobachtenden Fällen. Dazu meint Jan Hendrik Groß, Partner bei Ebner Stolz: „Es gibt ja die Vermutung, dass es deshalb so wenig StaRUG-Fälle gibt, weil es als Drohmittel Abweichler in Refinanzierungsverhandlungen diszipliniert. Ich glaube das nicht so recht. Es gibt einfach sehr wenige Fälle zurzeit“. Es bedarf wohl noch etwas mehr Zeit und auch ein Auslaufen der Finanzhilfen, um sich ein detailliertes Bild machen zu können.

Welche Verbesserungen wären wünschenswert?

Stefan Kleiner
Stefan Kleiner

Dennoch kann nach einem guten Jahr auch darüber nachgedacht werden, an welchen Stellen das StaRUG noch verbessert werden kann. Stefan Kleiner von Hanse Consulting wünscht sich eine Einbeziehung von Aval-Kreditlinien in die Regelungen. Es könne in bestimmten Fällen wichtig sein, dass Unternehmen freie Anteile von Avallinien auch gegen den Willen des Avalkreditgebers weiterhin nutzen können, um ihr operatives Geschäft zu finanzieren. Bereits in der Beratung des Gesetzentwurfes gab es Forderungen nach einer Möglichkeit der einseitigen Vertragskündigung. Wolfram Lenzen von Falkensteg meint dazu: „Eine solche Regelung hätte eine deutliche Sanierungshilfe dargestellt. Insofern wäre die Aufnahme operativer Sanierungshilfen eine deutliche Verbesserung. Mit dieser Erweiterung ist jedoch nicht zu rechnen“.

Mehr Mut vom Gesetzgeber?

Dr. Maximilian Pluta
Dr. Maximilian Pluta

Auch Prof. Streit hätte sich im ersten Anlauf mehr Mut beim Gesetzgeber gewünscht: „Wie schon in den Beratungen um den Gesetzentwurf bin ich weiter der Meinung, dass eine Möglichkeit zur Beendigung beziehungsweise Anpassung von Verträgen, insbesondere Dauerschuldverhältnissen, dem Gesetz als Restrukturierungsinstrument guttun würde. Nach meiner Einschätzung sollte auch der Anfechtungsschutz in Bezug auf neugewährte Kredite und Zwischenfinanzierungen verstärkt werden.“ Das Problem bei den neu vereinbarten Krediten bemängelt auch Dr. Maximilian Pluta, Managing Partner der PLUTA Rechtsanwalts GmbH: „Korrekturbedarf sehe ich beim Thema Neufinanzierungen gem. § 12 StaRUG. Insbesondere sollte hier ein vermutlich redaktionelles Versehen beseitigt und klargestellt werden, dass auch die Rückführung des planzugehörigen Neukredits den Privilegierungen unterliegen.“

Mit Änderungen noch etwas warten?

Bei möglichen raschen Änderungswünschen tritt Prof. Dr. Lucas F. Flöther ein wenig auf die Bremse: „Wir sollten erst einmal eine ausreichende Zahl von konkreten Verfahren abwarten. Erst dann können Schwachstellen erkannt werden und erst dann sollte der Ruf nach Nachbesserungen erfolgen. Bloß keine ´Dauerbaustelle´ StaRUG!“ Eine ähnliche Meinung hat auch Dr. Christoph Niering von der Kanzlei Niering Stock Tömp Rechtsanwälte und Vorsitzender des Verbands der Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands (VID), der gerne mit Anpassungen und neuen Regelungen warten möchte, bis es mehr Praxiserfahrung gibt: „Änderungs- und Anpassungsbedarf sehe ich derzeit nicht. Aufgrund der geringen Fallzahlen müssen die gesetzlichen Regelungen noch in einer größeren Anzahl von Verfahren ihre Praxistauglichkeit beweisen. Jetzt bereits dem Ruf nach einem StaRUG light zu folgen, halte ich für verfehlt. Vielmehr wäre es sinnvoll, ähnlich wie beim ESUG nach fünf Jahren die gesetzlichen Regelungen zu evaluieren und sodann auf Basis einer breiten wissenschaftlichen und praxisbezogenen Diskussion Änderungen und Anpassungen vorzunehmen.“

Praktiker sind recht zufrieden

Auch wenn es in bestimmten Bereichen Ergänzungs- und Änderungswünsche gibt, so zeigen sich die meisten der befragten Praktiker aus der Restrukturierungsszene recht zufrieden mit dem vorliegenden Gesetzentwurf und den ersten Erfahrungen. Stefan Kleiner von Hanse Consulting meint dazu: „Das Verfahren ermöglicht ohne Insolvenzverfahren eine unter Umständen notwendige Entschuldung von bei Finanzgläubigern sehr hoch verschuldeten Unternehmen, deren Erträge und Cashflow sich völlig anders entwickelt haben als bei Aufnahme der Schulden zu erwarten war.“ Thomas Zubke v. Thünen  ergänzt: „Ein distressed M&A-Prozess eines Baustoff-Fachhändlers wäre auch nur im Zusammenhang mit einer vorherigen Reduzierung der Verbindlichkeiten gegenüber (Alt-)Gesellschaftern und unbesicherten Lieferanten von über 9 Mio. EUR möglich geworden.“ Dr. Maximilian Pluta pflichtet dem bei, denn „im Ergebnis ist das StaRUG ein weiterer Baustein des Werkzeugkoffers der Branche ´Restrukturierung und Insolvenz´. Es sollte aber nicht als ´Allheilmittel´ missverstanden werden.“

Christoph Elzer
Christoph Elzer

Als ein „Allheilmittel“ bewertet Prof. Flöther das StaRUG auch nicht. Das liege vor allem daran, dass „Personalmaßnahmen oder die einseitige Beendigung von Verträgen im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nicht möglich sind.“ Aber immerhin könne das StaRUG bei einer ausschließlich finanzwirtschaftlichen Sanierung gute Dienste leisten. Christoph Elzer, Partner bei Ebner Stolz wertet das StaRUG ebenfalls als eine sinnvolle Ergänzung: „Ich glaube, die Daseinsberechtigung des StaRUG ist im Wesentlichen die Möglichkeit, Schuldnern mit einer inhomogenen Finanziererstruktur mit zahlreichen Beteiligten – insbesondere Schuldscheingläubigern – zu helfen“. Eine ähnliche Einschätzung teilt auch Mathias Dieckmann von der Kanzlei dkr dieckmann kuhne dr. raith: „Ich sehe im StaRUG eine sinnvolle weitere Möglichkeit für die Sanierung von Unternehmen“.

Erweiterung des Instrumentenkastens

Prof. Streit wertet das StaRUG als eine positive Erweiterung des „Instrumentenkastens der Restrukturierer“. Es habe in der Vergangenheit Blockadesituationen gegeben, in denen Akkordstörer die Restrukturierung von Verbindlichkeiten mittels Verweigerung ihres Einverständnisses blockiert haben – mit nachteiligen Folgen für die Stakeholder bis hin zur Insolvenz. „Mit diesen Situationen kann die Restrukturierungspraxis nun besser umgehen und Blockaden bei Überwindung der in Deutschland hohen Hürde einer qualifizierten Mehrheit von 75% des zu restrukturierenden Forderungsvolumens überwinden. Schon das Bestehen dieser Möglichkeit wirkt sich förderlich auf Verhandlungen zur Restrukturierung der Passivseite aus“, erklärt er.

Zufriedene Praktiker

Dem pflichtet Lenzen bei, denn opponierende Gläubiger seien bisher in der vorinsolvenzlichen Sanierung ein durchaus regelmäßig auftretendes Problem. Durch das StaRUG und die Möglichkeit, die Gruppe gerichtlich überstimmen zu lassen, werde mit ziemlicher Sicherheit der ein oder andere Restrukturierungsfall vor der Insolvenz bewahrt. Dabei dürfe man jedoch nicht außer Acht lassen, dass die Maßnahmen der operativen Restrukturierung nach wie vor durch das Unternehmen zu bewältigen sind: „Sind solche Maßnahmen im großen Umfang notwendig und nicht finanzierbar, bleibt die Option der Sanierung im Rahmen von Insolvenz- beziehungsweise Eigenverwaltungsverfahren. Damit ist das StaRUG eine Ergänzung des Sanierungsbaukastens für ganz bestimmte Restrukturierungsverfahren“, erklärt Lenzen.

Christoph Niering
Christoph Niering

Wie die anderen Kollegen aus der Restrukturierungsszene ist auch Dr. Niering mit den neuen Möglichkeiten durch das StaRUG zufrieden. Ein niedrigschwelliges und frühzeitig aktivierbares Sanierungsverfahren verbessere mittelfristig die Sanierungskultur: „Gerade die fehlende Öffentlichkeit und die Beschränkung auf einen kleinen Kreis der beteiligten Gläubiger wird Unternehmen und Unternehmer eher überzeugen, die Restrukturierung aktiv anzugehen“, erklärt er. Und gerade das habe sich der Gesetzgeber und der europäische Richtliniengeber auch so gewünscht.

 

Gute Noten für den Gesetzgeber

Insgesamt bekommen das fertige Gesetz und der ziemlich schnelle Weg bei den Beratungen recht gute Noten von den Restrukturierungsexperten. Sie sehen aber wenige Parallelen zur Einführung des ESUG vor gut zehn Jahren, da hier der Eingriff in die bisher übliche Vorgehensweise bei Insolvenzverfahren gravierender war. Und das neue StaRUG ist auch erst seit einem Jahr in Kraft, so dass weitere Erfahrungen gesammelt werden müssen – vielleicht auch dann, wenn die Fallzahlen bei den Insolvenzen wieder zunehmen. Angesichts steigender Energiekosten, dem bevorstehenden Auslaufen von Corona-Hilfsprogrammen – wie auch der Kurzarbeiterregelung dürfte sich hier in diesem Jahr mehr Bewegung zeigen. Die möglichen Konsequenzen des Krieges in der Ukraine sind dabei noch gar nicht berücksichtigt.

Autorenprofil

Als Redakteur der Unternehmeredition berichtet Alexander Görbing regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Zu seinen Schwerpunkten gehören dabei Restrukturierungen, M&A-Prozesse, Finanzierungen sowie Tech-Startups.

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