Effektives Bestandsmanagement – ein messbarer Erfolgsfaktor

Optimale Bestände zur richtigen Zeit am richtigen Ort

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Die Zeiten radikaler Bestandsreduktion sind vor dem Hintergrund einschneidender und immer unvorhersehbarer Marktbewegungen vorbei. Unternehmen brauchen heute Sicherheit, Kundenwünsche realisieren zu können („Security of Supply“), die richtigen Bestände dafür vorzuhalten und dabei gleichzeitig keinen immensen Bestand aufzubauen. Ein zweischneidiges Schwert, dem ein effektives Bestandsmanagement als Herzstück der Working Capital Optimierung entschieden entgegentreten kann. 

Vielerorts helfen bereits simple Stellhebel, um sich einem Ideal aus Bestandshöhe und Lieferfähigkeit anzunähern. Es gilt, diese Stellhebel zu definieren und zur richtigen Zeit die richtigen Maßnahmen abzuleiten – richtig verzahnt mit den sonstigen Stellhebeln zur Supply Chain Optimierung. Ein nicht immer triviales Unterfangen.

Bestandsmanagement als Evergreen

Bestandsmanagement gilt als echter Supply Chain Evergreen, dennoch besteht bei vielen Unternehmen noch immer essenzieller Handlungsbedarf, um durch konsequentes und effektives Bestandsmanagement maximalen Profit zu erreichen. Galt früher die Devise „So wenige Bestände wie nur möglich“ gilt heute vor dem Hintergrund drastischer Markt-Disruptionen (Covid-19-Pandemie, Handelsbarrieren, Israel-Gaza-Konflikt, Russland-Ukraine-Krieg, Suez-Kanal-Blockade, etc.) eher der Grundsatz „Optimierung statt reiner Reduzierung der Bestände“. Sprich: die richtigen Bestände in richtiger Dimensionierung am richtigen Ort. Nie war es wichtiger, Bestände auf Basis einer intelligenten Segmentierung der Roh-, Halb- und Fertigprodukte unter Risiko-, Resilienz- und Security-of-Supply-Gesichtspunkten nebst finanziellem Effekt zu bewerten. Nur wer das Thema „Bestandsmanagement“ als Disziplin des Working Capital Managements und als Herzstück der Supply Chain & Operations Strategie versteht, wird langfristig erfolgreich sein. Durch diese Ende-zu-Ende Betrachtungsweise ergeben sich – richtig umgesetzt – essenzielle Vorteile für die gesamte Supply Chain, die sich nicht nur in den elementaren Bilanz- und Cash Flow-Positionen, sondern auch in den wichtigsten Steuerungskennzahlen widerspiegeln.

Bestandsmanagement als messbarer Vorteil – maximale Liefertreue bei idealen Beständen

Durch die richtigen Maßnahmen an der richtigen Stelle zur richtigen Zeit sind durch effektives Bestandsmanagement auch kurzfristig drastische Verbesserungen der Supply Chain Performance erkennbar. Der Fokus liegt auf der Steigerung der Kundenzufriedenheit durch Erhöhung der Liefertermintreue (bis zu +25%) und Verbesserung des Service Levels (bis zu +10%) und der Verbesserung interner Abläufe sowie der Unternehmenskennzahlen zur Reduktion des Bestandswerts (bis zu -40%) und der Reduktion der nötigen Lagerkapazitäten (bis zu -20%). So steht dem Unternehmen der Weg frei für Wachstum, Kostenoptimierung und Ertragsoptimierung.

Um Bestandsmanagement als Schnittstellenthema und Ausgangspunkt für viele weitere Optimierungsmaßnahmen entlang der Supply Chain etablieren zu können, lohnt die Fokussierung auf fünf elementare Erfolgsfaktoren.

TOP-5-Erfolgsfaktoren

(1) Segmentieren Sie Roh-, Halb- und Fertigprodukte End-to-End als Basis für passende Planungsstrategien:
Eine ABC/XYZ-Analyse liefert eine erste Indikation zur spezifischen Parametrisierung der Bestände, der Miteinbezug von Parametern zu Risiko, Resilienz und der „Business Criticality“ schafft einen weiteren Vorteil zur Realisierung von Bestandsreduktionen und Optimierung der Liefertermintreue. Nicht selten sind zudem Make-to-Stock, Make-to-Order, Make-to-Forecast oder Engineer-to-Order Methodiken falsch zugeordnet und referenzieren auf unpassende Beschaffungs- und Bevorratungskonventionen.

(2) Definieren Sie Entkopplungspunkte an den richtigen Stellen Ihrer Supply Chain:
Schritt 1 zur strategischen Absicherung von Bullwhip-Effekten und Marktschwankungen ist die Fixierung der korrekten Bestandspositionen. Mithilfe der richtigen Entkopplungspunkte sichern Sie Lieferschwierigkeiten von Schlüssellieferanten ab, reduzieren Fehlteile gezielt und stärken die Resilienz ihrer Wertschöpfungskette.

(3) Nutzen Sie die Vorteile Ihres ERP- und Planungssystems und hinterlegen Sie die richtigen Sicherheitsbestände:
Nicht nur die Position, sondern auch die Dimensionierung der Bestände ist von elementarer Bedeutung und nicht immer trivial. Maximal-, Zyklus-, Sicherheits- und Meldebestände lassen sich mit dem richtigen Datenset berechnen und im ERP- beziehungsweise Planungssystem hinterlegen. So werden Sie vom „Bauchsteuerer“ der Bestände zum „Plansteuerer“ der Bestände, ideal unterstützt vom bestehenden ERP-System.

(4) Legen Sie geeignete Bestands-KPIs fest und nehmen Sie diese in Ihren S&OP Prozess mit auf:
Eine adäquate Unternehmenssteuerung fokussiert sich nicht nur auf Finanzkennzahlen in Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung sowie Cashflow. Zeigen diese Kennzahlen nur die finanziellen Folgen der Performance oder Nicht-Performance des Bestandsmanagements an, referenzieren Supply Chain & Operations KPIs auf die tatsächlichen Ursachen und lassen Schlüsse zu konkreten Korrekturmaßnahmen zu. Unternehmen, die ihren Lagerumschlag, den „Dead Stock“, die Variabilität der Lagerzu- und -abflüsse oder Prozesskennzahlen wie Lagerdurchlaufzeiten oder Lieferanten-Performance-Indikatoren konsequent messen und zur übergreifenden Steuerung nutzen, haben einen echten Wettbewerbsvorteil. Wer diese KPIs in die Entscheidungen in strukturierten Sales & Operations-Planning-Runden miteinfließen lässt, holt das Maximum aus Demand & Supply heraus.

(5) Führen Sie dynamische Pufferbestände ein, die regelmäßig überprüft werden:
Der richtige Spagat zwischen Dynamik und Ruhe ist nicht immer leicht zu finden. In Zeiten dynamischer, komplexer und volatiler werdender Märkte ist es unabdingbar, einen gewissen Grad an Dynamik auch im Unternehmen zu gewährleisten. Hier kommen etwa dynamische Pufferbestände ins Spiel, die entsprechend ihrer Parametrisierung in Zeiten von Nachfragespitzen beziehungsweise Nachfragetälern einen Großteil der Volatilität des Marktes abfedern und gleichzeitig die Lieferfähigkeit positiv beeinflussen. Diese Betrachtungsweise zeigt anschaulich, dass die Devisen „Glättung der Fertigung auf Teufel-Komm-Raus“ und „Vollständige Adaption der Marktschwankungen“ obsolet sind und durch intelligentere Strategien ersetzt werden müssen. Das Herzstück hierfür liefert ein effektives Bestandsmanagement.

Fazit

Bestandsmanagement war, ist und wird auch in Zukunft ein elementarer Bestandteil im Supply Chain Umfeld sein. Doch auch nach Jahren der Etablierung werden vielerorts noch unzureichende Maßnahmen rund um das Thema „Bestände“ beobachtet. Ausgehend von unseren Fünf Erfolgsfaktoren gilt es, die richtigen Maßnahmen abzuleiten, um das vielfach gesteckte Ziel „Reduzierte Bestände bei optimierter Liefertreue“ auch nachhaltig realisieren zu können. Eine nicht immer triviale, dafür aber besonders erfolgsversprechende und – mit Blick auf die auch in den Folgejahren stärker werdenden Marktunsicherheiten – alternativlose Aufgabe: Effektives Bestandsmanagement.

Autorenprofil
Robert Leonhardt

Robert Leonhardt ist Mitglied der Geschäftsleitung und Leiter der Service Line Value Chain Management & Digitalization. Robert und sein Team beraten seit fast 20 Jahren Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette, von der Strategie bis zur operativen Umsetzung. Branchenschwerpunkte sind Unternehmen der diskreten Fertigungsindustrie.

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