Gerade in den letzten Tagen angekündigte und prognostizierte Zinserhöhungen der EZB zeigen, wie wichtig es für mittelständische Unternehmen ist, sich am Kapitalmarkt zu positionieren, um eine Diversifizierung der Finanzierung gewährleisten zu können und Abhängigkeiten abzubauen. Geschwindigkeit ist hier sogar gefragt, denn es ist einfacher, den Kapitalmarkt von sich zu überzeugen, wenn man über eine glaubwürdige und vertrauensvolle Historie verfügt. Angst ist nirgendwo ein guter Begleiter. Deswegen sollten mittelständische Unternehmer in diesen massiven Krisensituationen (noch nicht überstandene Pandemie und Ukrainekrieg) sicherlich umsichtig aber auch gleichzeitig mutig sein. Denn sonst werden sie von der Zinserholung und der Inflation rechts überholt. Ein Liquiditätspolster ist in Umbruchzeiten ein wirklicher Vorteil.
Eine unkonventionelle Umfrage unter Kapitalmarktteilnehmern hatte Ende des Jahres 2021 einen optimistischen Ausblick hinsichtlich der Anzahl an notwendigen KMU-Emissionen für die erste Jahreshälfte 2022 ergeben. „Es fielen Worte wie „Lass jetzt endlich mal Corona vorbei sein, dann kommen die Emittenten an den Kapitalmarkt zurück. Der Kapitalmarkt wird gebraucht.“
Wir haben mittlerweile Mitte Mai und so richtig viel hat sich bisher im Markt für KMU-Anleihen nicht getan. Nachdem nun aber erste Kapitalmaßnahmen im Eigenkapitalbereich für KMU erfolgreich durchgeführt werden konnten, wagen sich aktuell die ersten Anleiheemittenten aus der Deckung. Für die bisherige Zurückhaltung gab es ein Potpourri an Gründen. Fangen wir mal mit dem offensichtlichen an. Die Pandemie hat uns bis heute im Griff. Immer wieder werden wir mit Zahlen konfrontiert, die kaum verifizierbar sind. Der Gesundheitsminister und der RKI-Chef liefern Zahlen ab und erklären gleichzeitig, dass diese Zahlen auch falsch sein können. Erneut wissen wir nicht, welche Zahlen maßgeblich sind. Die Gesetzgebung ist verwirrend. Jedes Bundesland macht sein eigenes Ding. Und viele Bürger folgen deshalb ohnehin nur noch ihren eigenen Regeln. Das sind verunsichernde Indikatoren, die der Kapitalmarkt hasst und die dementsprechend auch die Emittenten abschrecken.
Ein Turbo der Abschreckung für Investoren und gleichzeitig auch Emittenten, die notwendig Geld vom Kapitalmarkt brauchen, ist der Angriffskrieg von Wladimir Putin auf die Ukraine. Auch hier haben wir ein Informationsproblem, was die Planung von Maßnahmen erschwert. Abgesehen von der Grausamkeit der kriegerischen Auseinandersetzungen, ist es nicht berechenbar, wie der Krieg ausgeht. Wie lange dauert der Krieg? Welche Maßnahmen werden von den beteiligten Parteien ergriffen? Was für Auswirkungen hat dies auf die Planungen der Unternehmen und das wirtschaftliche Umfeld? Gibt es jetzt einen Verzicht auf russisches Gas oder wird Europa der Hahn abgedreht? Was ist mit den russischen Öllieferungen? Was verändert dies als Unternehmer meine Einkaufsbedingungen? Welche Auswirkungen bestehen auf meine Lieferketten?
„Wirtschaftliches Umfeld“ ist das nächste Stichwort. Wir haben uns häufiger in diesem Standpunkt mit möglichen Leitzinserhöhungen auseinandergesetzt. Wir haben unsere Lupe auf die Inflation gerichtet. Bis jetzt sind unsere Prognosen eingetreten. In Europa haben wir keine Leitzinserhöhung. Aber es ist unbestritten, dass die EZB momentan einen großen Spagat macht. Inflationsraten um die sieben Prozent sind für Deutschland gefühlt eher italienische Verhältnisse. Betrachten wir den ifo-Geschäftsklimaindex, der eigentlich als simple unternehmerische Abfrage funktioniert. Wenige Fragen, die in den IR-Abteilungen größtenteils durch Ankreuzen ausgefüllt werden. Monatliche Wechsel, wie momentan, gab es bisher kaum. Eher war immer eine Tendenz über mehrere Monate hinweg erkennbar. Das ist die momentane Krux der EZB: Würgt sie das zarte Pflänzchen Konjunktur auf Seiten der Unternehmer oder auf Seiten der Verbraucher ab? Es ist auch klar, dass egal in welchem europäischen Land, die Bürger nicht ständig mehr für existenznotwendige Dinge wie Wohnung, Heizung und Lebensmittel zahlen können. Dieser Strauß an Verunsicherungen führt dazu, dass sich Investoren und Emittenten zurückhalten. Aber auch in den USA werden die Falken langsam wieder leiser. Eine Abkehr von den erwarteten Zinserhöhungen ist das noch lange nicht, aber die ersten Hinweise auf die tektonischen Auswirkungen, die nachhaltig höhere Zinsen haben können. Das Wort Stagflation ist in Mode gekommen und erste Auguren spekulieren darüber, dass die FED ihren Kurs zumindest abmildern könnte; vor allem wenn es am Corporate-Bondmarkt lauter quietschen sollte.
Im deutschen Markt für KMU-Anleihen müssen in den nächsten 15 Monaten nach Informationen des Special-Interest-Mediums Bondguide mindestens zwölf KMU-Anleihen getilgt werden – üblicherweise wird dafür mit einem zeitlichen Abstand eine neue Anleihe begeben, deren Mittel für die Ausbezahlung der alten genutzt wird. Die Verunsicherung der Markteilnehmer ist zurzeit so groß, dass übliche Timings nicht eingehalten werden. Zusätzlich sind die Kuponanforderungen der Investoren, aufgrund des hohen Inflationsabschlages, auch schwer stemmbar. Dann kommt noch ein hausgemachtes Problem dazu: Seit 2018 wurden vermehrt Immobilienanleihen begeben, die 2023 fällig werden. Institutionelle Investoren sind in diesem Segment häufig am Limit und können nicht noch weiter investieren. Die Pleite von Eyemaxx, die Fast-Insolvenz der Adler-Gruppe und die jüngsten Veröffentlichungen von Consus schaffen nicht unbedingt mehr Vertrauen. Aber es sind immer die schwächsten Glieder einer Kette, die zuerst reißen und es gibt auch andere Emittenten, deren Papiere hier zu Recht Stabilität zeigen, worauf wir ebenfalls immer hingewiesen haben.
Es sind für alle Beteiligten extrem schwierige Zeiten. Innerhalb kürzester Zeit hat es den dritten schwarzen Schwan gegeben: Finanzkrise im Jahr 2008, die Coronapandemie ab dem Jahr 2020 und nun noch den Brandbeschleuniger Ukrainekrieg. Wohin geht der Kapitalmarktweg für KMU in diesem Jahr? Es wird schwierig werden. Alle Seiten müssen sich recken. Emittenten, die Geld einsammeln wollen, werden noch transparenter sein müssen als bisher und wahrscheinlich auch höhere Kupons aufrufen müssen; das gilt selbst für Unternehmen, die über eine längere und vertrauenswürdige Kapitalmarkthistorie verfügen. Weder Retail- noch institutionelle Investoren dürfen zögern, wenn Sie klug und langfristig investieren wollen. Gleichzeitig gilt, dass Emittenten mit belastbaren Geschäftsmodellen den Kapitalmarkt im eigenen Interesse verstärkt im Auge behalten sollten.
Die jüngst erfolgreichen Kapitalerhöhungen im Aktienmarkt zeigen es. Und wir sind überzeugt, dass die nahenden Kandidaten im Anleihemarkt die eine plausible Story und ein ausgewogenes Konzept bieten, ebenfalls erfolgreich sein können. Jede Krise hat auch mal ein Ende oder zumindest stellen sich die Unternehmen darauf ein. Auch in jetzigen Kapitalmarktzeiten ist der Weg das Ziel und bietet auch zahlreiche Chancen – selbst, wenn es ein steiniger Weg ist – es lohnt sich ihn zu beschreiten.
Kai Jordan
Bis 1998 war Kai Jordan stellvertretender Leiter des Aktienhandels der Commerzbank Frankfurt und später Abteilungsdirektor Equity Capital Markets. Dann wechselte er in den Sektor der Wertpapierfirmen zu einem Frankfurter Finanzdienstleister und begleitete die Entwicklung zu einer erfolgreichen und diversifizierten Wertpapierhandelsbank. 2007 wurde er dort in den Vorstand berufen. Seit August 2016 zeichnet Jordan bei der mwb als Vorstand für den Bereich Corporates & Markets verantwortlich.