„Die Stärkung der Eigenkapital­basis ist ein wichtiger Schritt“

MBGen: Regionale Finanzierungen für Gründer und Mittelständler

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Vor einem halben Jahrhundert begann die Geschichte eines Erfolgsmodells: Die ersten Mittelständischen Beteiligungsgesellschaften (MBGen) starteten mit ihren Unternehmensfinanzierungen auf Eigenkapitalbasis. Die beiden Geschäftsführer Guy Selbherr und Peter Pauli im Gespräch mit der Unternehmeredition.

Unternehmeredition:Ihre beiden ­Beteiligungsgesellschaften in Bayern (BayBG) und Baden-Württemberg (MBG) haben in den vergangenen ­Monaten ihr 50-jähriges Bestehen ­gefeiert. Was war vor rund 50 Jahren der Anlass für die Gründung der ­verschiedenen MBGen?

Guy Selbherr: Ich habe ein wenig im Archiv gestöbert. Schon 1969 hatte der Vorstand der Württembergischen Kredithilfe eine 21-seitige Denkschrift erstellt und ans Land geschickt, in der eine Beteiligungsgesellschaft für den Sektor des Einzelhandels gefordert wurde. In Baden-Württemberg wurde diese Idee dann auch in Verbindung mit einer Initiative des Bundes auf­gegriffen, als ein erweitertes Handlungsfeld für die damals bereits existierenden öffentlichen Bürgschaftsbanken.

Peter Pauli: Deutschland ist stark von einer Kreditkultur geprägt – im Gegensatz zum Beispiel zu den angelsächsischen Ländern. Wachstum ist aber nicht immer mit Kredit zu finanzieren; in bestimmten Situationen braucht es Eigenkapital. Die MBGen wurden gegründet, um dem deutschen mittelständischen Unternehmen hier ein Angebot machen zu können.

Was sind die klassischen Fälle, in ­denen die Zusammenarbeit mit einer MBG sinnvoll ist?

Pauli: Die Vorgehensweisen, Finanzierungsangebote und Geschäftsmodelle der 15 Mittelständischen Beteiligungsgesellschaften in den einzelnen Bundesländern sind hete­rogen. Grundsätzlich sind es aber überwiegend ähnlich gelagerte Situ­ationen beziehungsweise Anlässe­ für ein MBG-Investment: Unternehmensnachfolgen, Gesellschafterwechsel, Unternehmensgründung, Wachstumsfinanzierungen und schließlich auch Restrukturierungen.

Selbherr: Im Kern geht es immer um Transformationssituationen von Unternehmen. Bei solchen Fällen, die auch durch einen Strukturwandel ausgelöst werden können, ist die Stärkung der Eigenkapital­basis ein wichtiger Schritt. Am Ende kann auch eine Krise im Unternehmen der Einstieg für eine MBG sein.

Wie hat sich das Anforderungsprofil an die MBGen in den vergangenen Jahrzehnten geändert?

Selbherr: Die Prozesse laufen teilweise vielleicht etwas anders – im Kern arbeiten wir aber immer noch sehr ähnlich wie zu Beginn. Eine ausführliche Due Diligence war immer wichtig – daran halten wir fest. Was sich im Laufe der Jahre geändert hat, ist die Höhe der Finanzierungstickets – hier sind wir flexibler geworden. Aber auch die Erwartungshaltung der Unternehmen ist heute eine andere: Während wir uns früher möglichst raushalten sollten, sind nun Impulse wichtig. Die Firmenchefs sind übrigens deutlich besser über unsere Angebote informiert und damit automatisch auf­geschlossener. Das erleichtert die Gespräche.

Stellen Sie auch eine Änderung bei den Unternehmertypen fest, mit ­denen Sie zusammenarbeiten?

Pauli: Den Unternehmertyp gibt es nicht, Unternehmerpersönlichkeiten sind sehr unterschiedlich. Man kann aber vielleicht schon beobachten, dass die aktuell in Verantwortung stehende Unternehmergeneration offener gegenüber Beteiligungsgesellschaften ist und auch nicht mehr mit der Bestimmtheit wie früher das Ziel verfolgt, das Unternehmen unbedingt an die nächste Generation zu übergeben.

Seit 2010 erleben wir ein historisch niedriges Zinsniveau. Was hat dies für das MBG-Geschäft bedeutet? Wie musste man sich hier anpassen?

Selbherr: In der Tat, die Zeit des billigen Geldes, vor allem im Bereich der Förderkredite, ließ manchen ­Interessenten für eine Beteiligung erst einmal die Stirn runzeln, das kostete dann schon etwas mehr Überzeugungsarbeit. In der Phase der niedrigen Zinsen ging es aber auch vielen Unternehmen hervorragend – die Gewinne sprudelten, da sinkt naturgemäß der Bedarf an Eigen­kapital.

Pauli: Im Kern ist der niedrige Zins nur ein Aspekt. Wichtiger ist die Nachfrage nach Eigenkapital, die von 2010 bis zur Coronakrise gesunken war, weil die Unternehmen überwiegend gute Gewinne erzielt hatten und zum Beispiel Expan­sionsvorhaben aus eigener Kraft ­beziehungsweise mit Krediten hatten finanzieren können. Wir waren in dieser Zeit – wie Guy Selbherr ausgeführt hat –in der Akquise gefordert. Seit Beginn der Coronakrise ist die Nachfrage nach Eigenkapital wieder gestiegen, die BayBG hat im vergangenen Geschäftsjahr einen Rekord an Neuinvestments verzeichnet.

Und was bedeuten die nunmehr ­steigenden Zinsen für das Geschäftsmodell der MBGen?

Selbherr: Wie Peter Pauli sagt, der Zinssatz hat seine Bedeutung, sollte aber auch nicht überbewertet werden. Relevant ist die Frage, ob das Unternehmen gerade in einer Situation ist, in der Eigenkapital dringend benötigt wird, um einen Wachstumsschritt zu gehen, um schneller Erfolg zu haben oder eine Neuausrichtung des Unternehmens anzugehen. Das geht nur mit einer soliden Kapitalausstattung.

In welchen wirtschaftlichen/konjunkturellen Phasen sind MBGen besonders gefordert – oder passt das MBG-Modell immer für (Wachstums-)Finanzierungen?

Pauli: Es ist nachvollziehbar, dass in einer Boomphase mit Gewinnen und relativ niedrigen Investitionen die Nachfrage nach Wachstumskapital etwas nachlässt. In dieser Phase ­haben wir unser Venture-Capital-­Geschäft und die Investments in ­Unternehmensnachfolgesituationen weiterentwickelt. Es gibt also immer Ansatzpunkte für das MBG-Modell – man muss es aber auch aktiv gestalten.

Rechnen Sie mit mehr Restrukturierungsfinanzierungen?

Selbherr: Wir sind alle ein wenig überrascht, dass es trotz der andauernden Krise keine Welle von Insolvenzen gibt; das hatten wir anders erwartet. Es sind immer noch recht wenige Fälle, mit denen wir uns bei Restrukturierungen beschäftigen. Diese Entwicklung verläuft quasi ­parallel zu den sehr niedrigen Zahlen von Insolvenzanträgen. Eine Prognose erscheint mir nach wie vor schwierig, letztlich rechnen allerdings auch wir mit einer Zunahme.

Pauli: Auf zwei schwere Jahre der Coronapandemie folgt nun der ­Ukrainekrieg. Drei Jahre dauerten die vorangegangenen Krisen nicht, es scheint nicht mehr aufzuhören mit den Belastungen. Trotzdem zeigen sich viele Unternehmen bisher sehr stabil; aber ja, wir rechnen mittelfristig mit mehr Restrukturierungssituationen.

Welche Rolle spielt die Finanzierung von Start-ups im Geschäft der ­MBGen?

Selbherr: Hier können die MBGen inzwischen auf einen reichhaltigen Erfahrungsschatz zurückblicken. Die ersten Schritte im Bereich der Finanzierung von Gründungen wurden bereits in den 1980er-Jahren ­getan. Mehr Speed bekam das Thema­ dann durch die verstärkten Gründungen im Technologiesektor, die naturgemäß kapitalintensiver sind. Insgesamt verfügen die MBGen hier über reichlich Erfahrung und können Unternehmen gut unterstützen.

Pauli: Dies gilt natürlich besonders für MBGen, die an Hightechstandorten beziehungsweise Standorten mit ausgeprägter Start-up-Szene agieren. Für die BayBG ist Venture Capital inzwischen ein wichtiges Geschäftsfeld, wir haben über 60 Mio. EUR in Start-ups investiert.

Welche zukünftigen Finanzierungsmöglichkeiten und -modelle könnten Sie sich vorstellen im Umfeld der ­MBGen – neben dem bisherigen „Klassiker“ mit Mezzaninekapital?

Pauli: Mezzaninekapital ist nur ein zumindest eigenkapitalnahes Finanzierungsinstrument, das sich ins­besondere für etablierte mittelständische Familienunternehmen eignet. Die Nutzung des gesamten Spektrums von Eigenkapitalfinanzierungen – ­also auch direkten Beteiligungen – sowie die Erhöhung der Investments pro Unternehmen sind vorstellbare Weiterentwicklungen. BayBG setzt Direktbeteiligungen ­bereits seit vielen Jahren erfolgreich um und hat das mögliche ­Volumen pro Investment auf bis zu 10 Mio. EUR erhöht.

Selbherr: Die Entwicklung pass­genauer Produkte und Angebote für spezifische Zielgruppen dürfte anhalten. Für den Bereich innovativer und wachstumsstarker Start-ups ­haben zahlreiche MBGen nun Ins­tru­mente entwickelt. Die Umsetzung der Säule-II-Coronahilfen für junge Unternehmen wirkte dabei wie ein Katalysator. Die MBG Baden-Württemberg ist auch als Fondsmanager aktiv und verwaltet einen Venture- sowie perspektivisch einen Seedfonds.

Herr Pauli und Herr Selbherr, wir danken Ihnen für das informative Gespräch.


ZU DEN PERSONEN

Guy Selbherr ist seit 2004 ­Geschäftsführer der MBG Mittel­ständischen Beteiligungsgesellschaft Baden-Württemberg und Vorstand der Bürgschaftsbank ­Baden-Württemberg.

www.mbg.de

 

 

Peter Pauliist Geschäftsführer (Sprecher) der BayBG Bayerischen Beteiligungsgesellschaft. Er ist seit 1998 für die BayBG tätig und seit 2007 Geschäftsführer. Darüber ­hinaus ist Pauli Vorstandsmitglied im Branchenverband BVK und dort für Mittelstandsthemen zuständig.

www.baybg.de

 


Dieser Beitrag ist in der aktuellen Ausgabe unseres Spezials “Investoren im Mittelstand” erschienen.

Autorenprofil

Als Redakteur der Unternehmeredition berichtet Alexander Görbing regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Zu seinen Schwerpunkten gehören dabei Restrukturierungen, M&A-Prozesse, Finanzierungen sowie Tech-Startups.

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