In den vergangenen Jahren hat sich der Kapitalmarkt ausgesprochen positiv entwickelt. Das gilt auch für das KMU-Segment. Was im Moment passiert, hat diese Entwicklung ein Stück weit unterbrochen. Wir haben mit dem Kapitalmarktexperten Kai Jordan darüber gesprochen, welche Chancen er aktuell dennoch für Mittelständler sieht.
Unternehmeredition: Herr Jordan, wie sieht Ihr Angebot für Mittelständler aus? Sind Sie auch für Krisenzeiten gewappnet?
Kai Jordan: Wir bieten ein Dienstleistungsangebot für den gesamten Life Cycle eines KMU-Unternehmens am Kapitalmarkt an, darunter Börsengang, Kapitalerhöhung, Anleiheemission, Aktienrückkäufe; Übernahmeangebote etc. Unser Angebot reicht von einfachen Einbeziehungen im Freiverkehr und Listings in unterschiedlichen Segmenten des regulierten Marktes an den unterschiedlichen Börsen. Wir beraten, strukturieren und führen Transaktionen durch und übernehmen im Nachgang auch den Handel und die Kursstellung.
Unser Leistungs-Portfolio ist bewusst so aufgebaut, dass wir nicht nur von den großen Transaktionen abhängig sind. Daher können wir sehr auf Qualität achten, da das Geschäftsmodell bereits für ein gewisses „Grundrauschen“ sorgt.
Wie ist das Kapitalmarktjahr 2022 für Sie angelaufen?
Wir haben in den letzten beiden Jahren ein sehr positives Umfeld gehabt. Das war sicherlich zinsbedingt, aber auch liquiditätsgetrieben, sowie beeinflusst durch ein ausgesprochen positives wirtschaftliches Umfeld – natürlich bereinigt um die Branchen, in denen Corona große Schäden angerichtet hat. Schwerpunkte im KMU-Markt waren der Immobilienmarkt und die Bereiche Technologie und Umwelttechnologie.
Was im Moment passiert, hat diese Entwicklung ein Stück weit unterbrochen. Insbesondere sehen wir einen deutlichen Anstieg auf der Zinsseite und − für europäische und deutsche Verhältnisse − eine deutlich zu hohe Inflationsrate. Jetzt gab es erstmal eine dramatische Zinssteigerung, weil die EZB ihren Kurs gewechselt hat. Zum Beispiel waren wir bei zehnjährigen Anleihen bei minus 0,7 und sind jetzt bei plus 1,5.
Bei Immobilien und Technologieunternehmen beobachten wir derzeit durch die Zinsentwicklung eine große Zurückhaltung. Angesichts der Effekte des Ukrainekrieges auf die Preissteigerungsraten ist das alles unklares Terrain.
Das heißt aber nicht, dass zurzeit gar nichts geht. Umwelttechnologie und ESG-Themen laufen gut. Insofern das Geschäftsmodell nachvollziehbar aufgebaut ist, belohnt der Kapitalmarkt ein entsprechendes Engagement auch.
Sicherlich bringt der Kapitalmarkt Risiken mit sich. Wenn die Zinsen steigen, fallen eben auch die Kurse der Anleihen. Aber es kommt auch darauf an, um was für ein Papier es sich handelt. Während der Bundfuture – das Equivalent der zehnjährigen Bundesanleihe – beispielsweise von 175 auf 142 gefallen ist, bewegten sich manche gute Mittelstandsanleihen immer noch deutlich besser und verzeichnen nur geringe Verluste, beispielsweise von 100 auf 96%. Das zeigt, dass es weiterhin auch Qualität im Mittelstandsegment gibt und sich diese auch behauptet.
Im Mittelstand herrschen nach wie vor Berührungsängste mit dem Kapitalmarkt. Wie beurteilen Sie mit Blick darauf die aktuelle Entwicklung?
Es gibt eine zunehmende Zahl von Unternehmen, die weiterhin Kapitalmarkt geeignet oder bereits am Kapitalmarkt tätig sind und die kontinuierlich Interesse haben, den Kapitalmarkt auch zu nutzen. Natürlich ist die See rauer geworden, aber mit einer guten Seemannschaft kommt man auch mit einer großen Welle zurecht. Die Herausforderungen, unabhängig von den hoffentlich temporären Kriegseffekten, wie Umbau der Wirtschaft und Dekarbonisierung, treffen ja auch den Mittelstand. Gleichzeitig sehen wir Strukturbrüche in der traditionellen Kreditwirtschaft, sodass der Kapitalmarkt neben anderen Quellen eine interessante Alternative sein kann.
Zumal gerade das Thema Risikofinanzierung im Start-up-Bereich von Champagnerpartys auf null gefallen ist. Viele Kapitalgeber machen aktuell die Taschen zu. Gerade im Fintechbereich fahren ganz viele an die Wand oder müssen Ihre Operationen „winterfest“ machen. Da ist es meines Erachtens durchaus ein Thema für Mittelständler, die mit ihrer Entwicklung schon etwas weiter sind, sich unabhängig von anderen Kapitalgebern zu machen. Eine erfolgreiche Kapitalmarktpräsenz bietet die attraktive Möglichkeit, seine Verhandlungspotenziale im Finanzierungsmix auch gegenüber den Banken zu erhöhen.
Aktuell befindet sich also alles mehr oder weniger on hold. Geplante Transaktionen am Anleihemarkt werden eher verschoben?
Ja, es ist deutlich zäher geworden aber es laufen auch noch Transaktionen durch. Das hat sicherlich unterschiedliche Gründe. Es bedeutet nicht unbedingt, dass die verschobenen Transaktionen schlecht sind, aber es stellt sich eben die Frage, unter welchen Bedingungen und mit welcher Konfidenz und Sicherheit man das macht. Kapitalmarktaktivitäten kosten Geld und deswegen ist die Erwägung durchaus gerechtfertigt zu warten, bis sich die Lage wieder stabilisiert. Und es ist durchaus vorstellbar, dass sie sich stabilisiert. Wir sehen hier bereits die ersten Ansätze.
Transaktionen werden dennoch realisiert. In den zinssensitiven Bereichen, darunter Immobilien, ist die Zurückhaltung groß, weil der Markt in den letzten Jahren gut mit Mittelstandspapieren versorgt wurde. Aber gerade Themen wie ESG und Impact Investing bleiben trotz aller Korrekturen auf dem Radarschirm. Hier tut sich eine ganze Menge: Es sind die Emittenten, die sich hier entwickeln. Der Druck hier Antworten zu geben steigt für beide Seiten. Viele Investoren sagen offen, wenn du als Emittent hier keine Strategie zur Erfüllung der ESG-Anforderungen hast, dann können wir nicht investieren.
Mancher Emittent verschiebt eine Transaktion auch, weil die Konditionen gerade nicht passen.
Börsengänge sind aber tatsächlich stark zurückgegangen.
Das ist richtig. Nach Angaben der Börsenzeitung sind Aktienneuemissionen im ersten Halbjahr 2022 um 90% eingebrochen. Ich habe ein paar Anleihethemen gesehen, die nicht gekommen sind, habe aber auch Anleihen gesehen, die noch erfolgreich umgesetzt werden konnten, wie die Emissionen von Photon Energy und PNE Wind. Es gab aber auch Anleiheemissionen, die sehr vielversprechend aussahen und dann doch verschoben wurden. Auch auf der Aktienseite gab es jüngst noch erfolgreiche Umsetzungen. So konnten wir beispielsweise Kapitalerhöhungen für die Coreo AG, Solutiance (Software für Immobilienmanagement) und Cytotools Tools abschließen. Mit der Enapter AG ist auch ein Anbieter von Wasserstoff-Elektrolyseuren über einen Börsenmantel 2020 an den Markt gekommen und finanziert den Aufbau seiner Produktionsstätte regelmäßig über Transaktionen. Diese Form des „Reverse-IPO“ wurde in den letzten zwei Jahren häufiger erfolgreich durchgeführt, denn sie verkürzt die Vorbereitungszeit für eine Transaktion deutlich. Und wir sehen hier auch weiterhin neue Aktivitäten.
Im Markt für KMU-Anleihen kommen in den nächsten 1,5 Jahren einige Refinanzierungen auf uns zu. Da wird es spannend zu beobachten sein, zu welchen Bedingungen dies möglich ist. Die Emittenten dürften sich aber rechtzeitig darauf vorbereiten.
Es gibt – unabhängig von den aktuellen disruptiven Entwicklungen – was den Kapitalmarkt betrifft, grundsätzliche Hemmnisse in den Köpfen von Mittelständlern. Wie kann man diese widerlegen? Was schreckt die Unternehmen am meisten?
Den einen oder anderen CFO schrecken hohe Folgepflichten oder beispielsweise die Marktmissbrauchsrichtlinie ab. Verfehlungen werden zum Teil auch mit hohen Bußgeldern belegt. Aber die Angst können wir nehmen. Ein ordentlich geführtes Unternehmen hat das gemeinsam mit den richtigen Partnern im Griff.
Der hohe Aufwand ist sicherlich auch ein großes Hemmnis.
Klar kostet eine Transaktion am Kapitalmarkt Geld. Eigenkapital muss man dann aber nicht mehr zurückzahlen und wir raten ohnehin dazu, die Kapitalmarktexistenz langfristig zu betrachten. Dann ist das ein Investment, auf das man auch bei künftigen Transaktionen immer wieder aufbauen kann. Die Aufnahme von Fremdkapital über eine Anleihe ist da ein etwas leichterer Schritt.
Wir bei mwb führen gemeinsam mit dem Emittenten immer ein individuell strukturiertes Investoren-Sounding durch, um die Eintrittswahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass es auch klappt. Wir sagen Emittenten offen, wenn wir Zweifel an den Erfolgschancen einer Transaktion haben. Da sitzen wir mit dem Emittenten auch im selben Boot. Weiterhin stehen wir für eine vernünftige Nachbetreuung von Unternehmen und Investoren. Da sehen wir uns als Brücke zwischen dem Investor und dem Emittenten. Manche Banken sind hier doch sehr transaktionsgetrieben und vernachlässigen im Nachgang die Betreuung.
Was sind für Sie die wichtigsten Erfolgskriterien?
Zunächst erfordern die einzelnen Marktsegmente die Einhaltung formaler Kriterien der Vermögens-, Finanz- und -Ertragslage. Es gibt Anforderungen an operative Kapitalmarktfähigkeit sowie eine Plausibilisierung der Planung.
Ich persönlich halte ein nachvollziehbares Geschäftsmodell, eine offene Kommunikation, und ein transparent kommunizierendes Management, für wichtige Faktoren.
Welche Hauptvorteile bietet der Kapitalmarkt den KMU?
Wir kennen die Vorteile für Mittelständler. Mwb fairtrade ist selbst auch ein börsennotiertes Unternehmen. Seit 1993 sind wir im m:access notiert.
Der wichtigste Aspekt ist die Möglichkeit, sich von der reinen Bankenfinanzierung unabhängiger zu machen. Das ist eben nicht nur kompetitiv gemeint. Zumeist begrüßt die Hausbank die Kapitalmarktfähigkeit sogar, weil sich die Grundlagen der Finanzierung insgesamt verbessern. Je nach begebenem Finanzinstrument und Marktsegment sind die Reportinganforderungen manchmal sogar offener als bei der Bank. Weiterhin kann eine Transaktion am Kapitalmarkt den Bekanntheitsgrad von Unternehmen und Produkten signifikant erhöhen.
Welche Perspektiven erwarten Sie in naher Zukunft?
Zunächst müssen wir schnellstmöglich eine Situation erreichen, in der dieser Krieg ein Ende finden kann. Russland darf den Krieg nicht gewinnen. Nicht jedes Problem, mit dem wir zu kämpfen haben, ist durch den Krieg entstanden, aber der Krieg ist ein wesentlicher Treiber.
Zinssteigerungen und die daraus folgende Rezessionsangst führen dazu, dass manches schwieriger wird.
Ich bin dennoch zuversichtlich, dass wir, auch wenn der Krieg länger anhält, ein paar der Themen in den Griff bekommen werden. Trotz des humanitären Leids für die Menschen in der Region ist der Mensch ein Gewohnheitstier. Wir werden manche Probleme durchaus in den Griff bekommen und die Folgen könnten sich jedenfalls ein Stück weit wieder relativieren. Wenn dieser Krieg nicht weiter eskaliert, glaube ich schon, dass wir 2023 wieder bessere Zeiten sehen und sich die Märkte stabilisieren werden.
Herr Jordan, wir danken Ihnen für das interessante Gespräch.
Zur Person
Bis 1998 war Kai Jordan stellvertretender Leiter des Aktienhandels der Commerzbank Frankfurt und später Abteilungsdirektor Equity Capital Markets. Dann wechselte er in den Sektor der Wertpapierfirmen zu einem Frankfurter Finanzdienstleister und begleitete die Entwicklung zu einer erfolgreichen und diversifizierten Wertpapierhandelsbank. 2007 wurde er dort in den Vorstand berufen. Seit August 2016 zeichnet Jordan bei der mwb als Vorstand für den Bereich Corporates & Markets verantwortlich.
Als Chefredakteurin der Unternehmeredition berichtet Eva Rathgeber regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Wirtschaftsjournalismus und in der PR.