Unternehmeredition: Herr Dr. Cordes, haben die Staaten Osteuropas die Finanz- und Wirtschaftskrise überstanden?
Cordes: Wenn man in den vergangenen Monaten in Osteuropa unterwegs war, dann konnte man in vielen Ländern ein gewisses Aufatmen spüren. Die meisten Märkte haben sich stabilisiert. Das Wachstum setzt wieder ein! Leider nicht überall: Rumänien, Kroatien, Bulgarien sind die wichtigsten Ausnahmen. Diese Länder müssen ihre Haushalte durch starke Sparanstrengungen konsolidieren und stecken auch 2010 noch in der Rezession. Länder wie Russland, die Ukraine und Kasachstan hingegen verzeichnen wieder ein deutliches Wachstum von jeweils etwa 4%. Der deutsche Export nach Mittel- und Osteuropa legte seit Jahresanfang 2010 immerhin um 15% zu. Übers Jahr gerechnet werden wir nahe der 20%-Marke liegen.
Unternehmeredition: Aufgrund der globalen Konjunkturkrise der letzten Jahre haben zahlreiche Mittelständler ihre Auslandsexpansion aus Kostengründen zurückgestellt. Können Sie nun, da die Wirtschaft hierzulande wieder in Schwung gekommen ist, feststellen, dass immer mehr Unternehmen ihre zeitweise auf Eis gelegten Internationalisierungspläne wieder aufnehmen?
Cordes: Die deutschen Unternehmen engagieren sich nachhaltig im Ausland. Diese Verlässlichkeit unterscheidet uns oftmals von anderen Investoren. So gab es auch kaum deutsche Unternehmen, die sich in der Krise aus den osteuropäischen Märkten zurückgezogen haben. Im Gegenteil: In Russland stiegen während der Krise die deutschen Direktinvestitionen sogar um einen dreistelligen Millionenbetrag an. Ein guter Teil der Unternehmen hat also klassisch antizyklisch agiert und ist jetzt im beginnenden Aufschwung sehr gut aufgestellt.
Unternehmeredition: Welche Ziele verfolgen deutsche Unternehmer heutzutage primär mit ihrem Engagement in Osteuropa: Geht es in erster Linie um günstige Produktionsstätten oder um die Erschließung neuer Absatzmärkte?
Cordes: Zum einen ist Mittel- und Osteuropa ein enorm wichtiger Absatzmarkt mit einer Bevölkerung von rund 340 Millionen, steigenden Einkommen und einem attraktiven Konsumverhalten. Zum anderen sind die Menschen in der Region gut ausgebildet, was für eine Produktion vor Ort spricht. Dabei darf man aber nicht die gesamte Region über einen Kamm scheren, sondern muss sich genau ansehen, wo Löhne und Produktivität in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen. Der Produktionsstandort Deutschland konnte hier in den vergangenen Jahren Boden gut machen. Viele Länder Osteuropas müssen gerade im Wertschöpfungsbereich stark nachholen und modernisieren. Dies wiederum eröffnet Exportchancen für deutsche Unternehmen.
Unternehmeredition: Welche osteuropäischen Länder sind derzeit die wichtigsten Zentren deutscher Unternehmen und für welche Branchen?
Cordes: Russland ist und bleibt mit seinen 140 Mio. Einwohnern der bedeutendste Markt in der Region. Das Land darf aber die dringend gebotene Modernisierung nicht schleifen lassen. Werden hier die erwarteten Mittel investiert und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geschaffen, so eröffnet sich für deutsche Firmen und Projektentwickler in nahezu allen Bereichen vom Maschinen- und Anlagenbau über die Gesundheitswirtschaft bis hin zu Automotive und Infrastrukturentwicklung auf Jahre ein großer Wachstumsmarkt. Daneben sollte man aber auch Länder wie Belarus, die Ukraine und Kasachstan nicht übersehen. Die Ukraine muss ihre Energie- und Schwerindustrie modernisieren und die Stärken in der Agrarwirtschaft und im Tourismus entwickeln, Belarus will das Thema Energieeffizienz/Erneuerbare Energien zu einem Entwicklungsschwerpunkt machen. Auch Südosteuropa bleibt trotz bestehender Krisenfolgen eine attraktive Region.
Unternehmeredition: Welche “neuen Ländertrends” gibt es, wo sehen Sie das größte Zukunftspotenzial?
Cordes: “Geheimtipps” gibt es in der Region kaum noch, praktisch in jedem Land finden Sie deutsche Unternehmen. Aus politischen Gründen etwas im Schatten lagen lange Länder wie Belarus, Turkmenistan, Usbekistan und Aserbaidschan, die in den vergangenen Jahren wirtschaftlich aufholen konnten und teilweise bemerkenswerte Reformen umgesetzt haben. Die deutsche Wirtschaft tut gut daran, die sich vollziehende politische Öffnung dieser Länder zu beobachten, zu unterstützen und gemeinsame Projekte zu prüfen. Kasachstan ist als erfolgreichstes zentralasiatisches Land natürlich ein wichtiger Partner, auch vor dem Hintergrund der gegenwärtig großen Diskussion um die Versorgung der deutschen Industrie mit Rohstoffen. Das Land hat Seltene Erden, die unsere Hightech-Industrie dringend benötigt.
Unternehmeredition: Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen für deutsche Unternehmer in Osteuropa, und wie können sie diese meistern?
Cordes: Die deutschen Unternehmen sind insgesamt in der Region gut aufgestellt. Allerdings schläft die Konkurrenz nicht. Chinesische Staatskonzerne gewinnen Marktanteile hinzu, gerade auch in Branchen wie dem Maschinen- und Anlagenbau, der eigentlich eine deutsche Domäne ist. Diesen Wettbewerb müssen wir annehmen. Das bedeutet auch, dass man das chinesische Vorgehen sehr genau auf WTO-Konformität untersucht und auf ein “level-playing field” besteht. Wir beobachten mit einiger Sorge, dass Chinesen mit teilsubventionierten Finanzierungsmodellen in Osteuropa unterwegs sind. Es ist nicht gut, wenn Chinesen auf Dauer mit subventionierten Zinsen Projekte gewinnen, hier müssen wir international nachjustieren.
Unternehmeredition: Herr Dr. Cordes, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Markus Hofelich.
markus.hofelich@unternehmeredition.de
Zur Person: Dr. Eckhard Cordes
Dr. Eckhard Cordes ist Vorstandsvorsitzender der Metro Group und Vorsitzender des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft. Dieser vertritt seit 1952 Interessen der deutschen Unternehmen auf den schwierigen Märkten Russland, Belarus, Ukraine, Zentralasien, im Kaukasus und in Südosteuropa und versteht sich als Mittler zwischen Wirtschaft und Politik in Deutschland und Osteuropa. www.ost-ausschuss.de
Markus Hofelich ist Gastautor.