Die Digitalisierung verstärkt den Druck auf mittelständische Unternehmen. Die künstliche Intelligenz (KI) stellt nach dem Aufbau moderner IT-Strukturen für Produktion und Logistik eine besondere Herausforderung für die Zukunftsfähigkeit dar. Mutigen Strategen bietet das aktuelle Marktumfeld gute Chancen, günstig bewertete Unternehmen mit hohem Wertschöpfungspotenzial für das eigene Geschäft zu finden.
Wenn eine Firma mit 50 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz im einstelligen Millionenbereich einen MDAX-Konzern mit einem mehr als 1.000-mal höheren Umsatz als Partner findet, müssen viele Faktoren zusammenkommen, damit der Deal ein voller Erfolg für beide Seiten wird. Für Sebastian Ritter, den Geschäftsführer von ifesca, hat die Beteiligung der Kion Group an seinem Unternehmen eine Win-win-Situation geschaffen. „Für klassische Maschinenbauer wie Kion ist der Aufbau eines Softwaregeschäfts kaum greifbar. ifesca hat dagegen ein fertiges Produkt, um ein Lademanagement in ein ganzheitliches Energiemanagement einzubetten.“
Für klassiche Maschinenbauer wie Kion ist der Aufbau eines Softwaregeschäfts kaum greifbar. ifesca hat dagegen ein fertiges Produkt, um ein Lade – management in ein ganzheitlisches Energiemanagement einzubetten.
Das 2016 gegründete Unternehmen entwickelt Software, die auf künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen basiert. Damit adressiert ifesca energie – intensive Unternehmen und die Energiewirtschaft. Aufgabe der Software ist es, den Stromverbrauch zu optimieren und Spitzenlasten in den Energienetzen zu vermeiden. Bis zu 30% Stromkosten können die Kunden damit sparen. Für das Gabelstaplergeschäft von Kion füllte ifesca eine technologische Lücke. Der Konzern war gerade dabei, seine Gabelstaplerflotten auf den Strombetrieb mit Lithium-Ionen-Batterien umzustellen. Was fehlte, waren digitale Systeme, um die Ladezeitdaten genauer zu planen ‒ und damit den Energieverbrauch der Gabelstapler und Lagertechnikgeräte zu steuern, die Kion etwa an Supermarktketten, Autofabriken und Baumärkte liefert.
ifesca wiederum stand vor der nächsten strategischen Etappe. Nach der anfänglichen Finanzierung durch Business Angels und die Erfurter Venture-Capital-(VC-)Gesellschaft bm|t war ifesca-Mitgründer Ritter und seinem Team schnell klar: Die Expansion in Richtung internationale Kunden war nur mit einem größeren Partner zu stemmen. Nach einer ersten Sondierungsphase kristallisierte sich Kion schnell als der geeignete Partner he- raus. Was 2020 mit einer lockeren Kooperation begann, mündete im September 2021 in eine weitreichende Allianz. Kion stieg im Rahmen einer Finanzierungsrunde mit 5 Mio. EUR bei ifesca ein und hält nach einer weiteren Transaktion 22% an der Firma aus Ilmenau in Thüringen.
ifesca bringt im Gegenzug seine Technologie bei den drei Kion-Töchtern Linde Management & Holding GmbH, Linde Still und Dematic über die KI- und cloudbasierte Plattform ifesca.AIVA ein. Kions Kunden können damit von einer ganzheitlichen Lösung für ihr Energiemanagement profitieren, meint Stefan Prokosch, Senior Vice President Brand Management bei Linde Material Handling GmbH. „Mit den genauen Prognoseergebnissen dieser Plattform können sie für ihre Flurförderzeugflotten optimale Ladezeiten planen, Lade- spitzen vermeiden und damit ihre Energiekosten deutlich senken.“
Neben der Technologie punktet ifesca Ritter zufolge auch mit der Vernetzung in der Energiebranche: „Aufgrund meiner 22 Jahre Erfahrung in der Energiewirtschaft sind wir auch Experten, was Netzstrukturen und dynamische Tarife angeht.“ Im Gegenzug erhält ifesca über das europaweite Händlernetzwerk des Partners Zugang zu internationalen Kunden aus energieintensiven Branchen.
Torschlusspanik im Mittelstand
Laut Andre Waßmann, Leiter M&A und Corporate Finance bei Helbling Business Advisors in Düsseldorf, ist der Einstieg von Kion ein gelungenes Beispiel dafür, wie Beteiligungen an oder ganze Übernahmen von kleinen und mittelständischen Firmen (KMU) technologisches Know-how sichern. „Im Vergleich zu früher sind Übernahmen weniger ein Finanzierungsschritt, sondern ein elementarer Bestandteil im strategischen Werkzeugkoffer, um die Transformation des eigenen Geschäftsmodells zu realisieren.“
Die Entscheidung für Zukäufe ist dabei immer stärker von dem Ziel getrieben, bei der Digitalisierung mit einer kürzeren „Time to Market“ zu glänzen als der Wettbewerb. Um beim Vormarsch von künstlicher Intelligenz,
Big Data und Internet der Dinge (IoT) nicht abgehängt zu werden, soll die Expertise über externe Spezialisten an Bord geholt werden. Kai Hesselmann,
Mitgründer der auf die Beratung bei M&A-Transaktionen spezialisierten
DealCircle GmbH aus Hamburg, konstatiert dabei unter immer mehr Mittelständlern im deutschsprachigen Raum geradezu eine „Torschlusspanik“ im Hinblick auf den technologischen Aufholbedarf: „Aktuell sehen wir nur einen ganz geringen Prozentsatz an mittelständischen Unternehmen, die als Vorreiter KI in ihre Prozesse implementiert haben.
Aktuell hat nur ein ganz geringer Prozentsatz an mittelständischen Unternehmen KI in seinen ProzessEn implantiert.
Die breite Masse der Firmen ist technologisch noch weit davon entfernt und hat oft nicht einmal Microsoft 365 implementiert.“ In der Praxis eignen sich die meisten kleinen und mittelständischen Unternehmen gerade erst umfassende Kenntnisse zu den existierenden KI-Tools wie Chat GPT, Gemini und Copilot an.
Gerade im produzierenden Gewerbe und in der Logistik kommt KI bislang selektiv zum Einsatz. So werden KI-Modelle auf der Basis vorhandener Umsatzdaten aus betriebsinternen ERP- Systemen darauf programmiert, die Kapazitäts- und Materialplanung genauer zu prognostizieren. Transportbehälterdaten werden mittels KI-Technik in der Bilddatenverarbeitung von Kameras in Echtzeit übermittelt und verschaffen zeitnah Transparenz über die aktuellen Lagerbestände.
Angesichts des zunehmenden Wettbewerbsdrucks und Arbeitskräftemangels geht es in der Industrie zum einen darum, über den Einsatz von Internet of Things (IoT), Robotik und künstlicher Intelligenz (KI) energie- und materialschonend effizientere Produktionsabläufe und höhere Erträge zu erzielen. Zum anderen ermöglichen die digitalen Technologien automatisierte Qualitätskontrollen und die kontinuierliche Optimierung der Lieferketten.
Die zentrale Herausforderung für die Mittelständler liegt jedoch darin, ob und in welchem Umfang sie mittels KI auch neue Wachstumsfelder und Geschäftsmodelle entdecken. „Wer Weltmarktführer bleiben will, braucht künstliche Intelligenz“, hatte Olly Salzmann, der damalige Leiter des Themas künstliche Intelligenz bei Deloitte Deutschland, bereits 2021 im Kontext einer Studie zu KI und dem deutschen Mittelstand konstatiert – eine Aussage, die angesichts der kurzen Halbwertszeiten für die technologischen Standards bei KI mehr denn je zutrifft.
Bezieht man jedoch Vertreter aller Unternehmensgrößen in die Untersuchungen ein, zeigt sich ein differenziertes Bild. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Umfrage der Unternehmensberatung Deloitte unter 150 Beschäftigten von deutschen Unternehmen. Dabei fällt auf, dass sich zwischen dem ersten und zweiten Quartal, also in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum, die Prioritäten für den Einsatz von KI geändert haben – und zwar weg von der verbesserten Effizienz bei Prozessabläufen und hin zu strategischen Zielen. Besonders deutlich wird dieser Wandel der Prioritäten in drei Punkten: dem Risikomanagement (26%), der Verwendung der Mitarbeiter für anspruchsvollere Tätigkeiten (26%) und dem Entdecken von neuen Geschäftsideen (25%). Die Zustimmungswerte lagen hier nicht nur deutlich über dem ersten Quartal, sondern übertrafen auch die globalen Ergebnisse. Die gesamte Deloitte-Studie wertet die Antworten von 1.982 Beschäftigten aus sechs Branchen in sechs Ländern aus.
Wie und in welchem Umfang KI-Anwendungen das künftige Geschäft prägen sollen, muss jede mittelständische Firma in einer ehrlichen Bestandsaufnahme der persönlichen, finanziellen und technischen Ressourcen eigenständig klären. Auf dieser Grundlage muss dann abgewogen werden, ob die digitale Transformation am besten durch eigenes Know-how oder über Akquisitionen und Partnerschaften realisierbar ist.
Chance für Antizykliker
Wer jetzt den Schritt zu einer Übernahme wagt, findet gerade bei kleineren Firmen und Start-ups attraktive Unternehmensbewertungen. Das gelte vor allem für Deutschland, wo aufgrund der anhaltend unsicheren konjunkturellen Zukunft die Bewertungen von kleineren KI- und Digitalisierungsplattformen „durchaus vertretbar“ seien, meint Dr. Michael Drill, Geschäftsführer Deutschland von Lincoln International, einer auf den KMU-Sektor spezialisierten Investmentbank: „Für die Transaktionen der PE- und VC-Gesellschaften bieten sich viele moderat bewertete Firmen. Im Gegenzug freuen sich viele kleinere Unternehmen, unter das Dach eines größeren Mittelständlers zu kommen. Damit sind sie finanziell abgesichert und haben in den nächsten Jahren genug Geschäft, ohne eigene Aufträge generieren zu müssen.“
Wie verhalten das Marktumfeld auf globaler Ebene ist, untermauert der aktuelle Global M&A Report von Bain International. Demnach sanken die Dealvolumina 2023 weltweit um 15% auf 3,2 Bio. USD. Den größten Einbruch verzeichnete der Technologiesektor: Hier brach das globale Transaktionsvolumen gegenüber 2022 um 43% ein. Gegen diesen Trend gab es – auch in Deutschland – im Energie- und Gesundheitssektor erhebliche Zuwächse. Strategische Investoren waren beim Deal Closing wesentlich erfolgreicher als Finanzinvestoren. Während das globale Dealvolumen der VC-Gesellschaften um 37% schrumpfte, fiel der Rückgang bei den strategischen Käufern mit 6% vergleichsweise moderat aus. Als Grund für das branchenübergreifende Scheitern von Transaktionen nannten zwei Drittel der potenziellen Verkäufer die unterschiedlichen Preisvorstellungen zwischen beiden Seiten.
Seit Anfang 2024 haben die M&A-Aktivitäten auf einem noch moderaten Niveau angezogen. Eine Reihe von Faktoren spricht dafür, dass sich der Markt in den nächsten Monaten weiter belebt. Etliche Unternehmen werden Verkaufsverhandlungen aufnehmen, um sich Liquidität zu verschaffen. Bei den PE- und VC-Gesellschaften steigt der Druck vonseiten der Investoren, ihre Portfolios durch Verkäufe zu bereinigen und neue Investments zu tätigen. Angesichts der historisch niedrigen Bewertungen gehen die Argumente aus, im aktuellen Marktumfeld weiter an der Seitenlinie zu stehen.
Nach Erhebungen einer aktuellen Studie der Unternehmensberatung PwC lagen die durchschnittlichen EBITDA-Multiples bei M&A-Transaktionen im deutschsprachigen Raum im ersten Halbjahr 2024 bei 8,4. Dieser Wert liegt deutlich unter dem im Halbjahres- (11,4x) und im Jahresvergleich (10,6x). Zwar sank die Anzahl der Transaktionen in der ersten Jahreshälfte gegenüber dem zweiten Halbjahr 2023 um 15,9% auf 1.253. Der Transaktionswert stieg dagegen im Halbjahresvergleich um 9,4% auf 60,6 Mrd. EUR. Im Vorjahreszeitraum waren es 79,3 Mio. EUR. Kleinere Transaktionen mit einem Wert von weniger als 50 Mio. EUR machten dabei knapp 27% aller M&A-Aktivitäten aus, etwa genauso viel wie im zweiten Halbjahr 2023. 53% aller Deals entfielen auf Finanzinvestoren.
Übernahmen sind im Vergleich zu früher mehr ein zentrales Element im strategischen Wergzeugkoffer.
Die sich stabilisierenden, möglicherweise weiter sinkenden Zinsen werden den Handlungsdruck weiter erhöhen. Für Firmenkäufer wie Börsianer gilt gleichermaßen: Wer in solchen konjunkturellen Schwächephasen bei niedrigen Bewertungen einkauft, wird mittel- bis langfristig eine schöne Rendite einfahren.
Weites Technologieuniversum
Ob beim Einstieg über eine Minderheitsbeteiligung oder bei einer kompletten Übernahme – wer auf der Verkäuferseite kaufwillige Interessenten überzeugen will, muss branchenübergreifend drei Qualitätskriterien mitbringen: ein ausgewogenes Kundenportfolio, einen überzeugenden Wachstumsplan für die Zukunft und Verbesserungspotenzial im operativen Geschäft. Für M&A-Berater Waßmann sind Übernahmen bei mittelständischen Unternehmen in erster Linie aus der indus- triellen Perspektive getrieben. Die Käufer erhofften sich davon effizientere Produktionsabläufe und höhere Erträge durch den Einsatz von IoT, Robotik und KI.
Etliche start-ups in den Life sciences können auf sicht der nächsten 24 Monate geeignete übernahmeobjekte und kooperationspatner werden.
Während es in der verarbeitenden Industrie und im Handwerk noch weitgehend um diese digitalen „Basics“ geht, nutzen Firmen aus anderen Branchen die Chancen der Digitalisierung bereits deutlich intensiver. E-Commerce, Logistik, Maschinenbau und Gesundheit sind hier an erster Stelle zu nennen. In der Life-Sciences-Industrie betreiben Pharmakonzerne unter anderem KI-gestützte Medikamentenentwicklung mit dem Ziel, in der präklinischen Entwicklung über digitale Computermodelle bei der Identifikation von Lead-Kandidaten Zeit und Geld zu sparen. „KI spielt in der klinischen Patientenselektion und in der computergestützten Diagnose, speziell im Imaging, also der visuellen Darstellung von Körperstrukturen, schon seit Jahren eine Rolle“, erläutert Mathias Klozenbücher, Managing Director bei FCF Fox Corporate Finance. „Neu hinzugekommen sind unter anderem die Bereiche AI-unterstützte Lead-Identifizierung, Proteindesign und Overall-Design beim Identifizieren von Kandidaten für die klinische Entwicklung.“
Mit Functional-Genomics-Modellen am Bildschirm lassen sich Krankheitsmodelle simulieren. Dieses In-silico-Research kann In-vitro-Modelle im Reagenzglas unterstützen und damit Zeit und Ressourcen speziell in den frühen Phasen der Medikamentenentwicklung sparen. Ein weites Feld mit vielen kleineren Firmen sind die personalisierten Therapieansätze mit Unterstützung von sogenannten Companion Diagnostics. Dazu zählt die Sequenzierung von Patientengruppen anhand von genetischen Biomarkern für die Patientenauswahl in klinischen Studien, in denen zielgerichtete individualisierte Therapien entwickelt werden. „Etliche Start-ups in diesem Segment können auf Sicht der nächsten 24 Monate für Pharmakonzerne geeignete Kooperationspartner für Co-Development-Deals oder Übernahmeobjekte werden“, lautet Klozenbüchers Fazit. Wer auf den Radar von Käufern rückt, müsse eine Reihe von Anforderungen erfüllen. Neben dem innovativen Charakter der Technologien sind die Datenqualität, eine verlässliche Produktion und die Vertrautheit mit regulatorischen Standards in der medizinischen Entwicklung ein absolutes Muss.
Erfolgsfaktoren für Käufer
Um sich technologisch für das digitale Zeitalter zu wappnen, müssen die meisten mittelständischen Unternehmen einen Spagat meistern. Mehr finanzielle und personelle Ressourcen müssen in den Ausbau der eigenen IT- und KI-Ressourcen investiert werden, ohne das Kerngeschäft zu vernachlässigen. Um sich Zugang zu Schlüsseltechnologien zu verschaffen, drängt sich deshalb als kosten- und zeitsparende Alternative der Zukauf oder eine Minderheitsbeteiligung auf. Mancherorts verstärkt sich der Trend, dass größere Unternehmen zur Nachfolge anstehende KMU zum Kauf suchen, um selbst zu wachsen – auch angesichts der auf dem Arbeitsmarkt immer schwierigeren Rekrutierung von Fachkräften. Nachfolgeregelungen bei Mittelständlern eröffnen ein weites Feld für Transaktionen. „Mit Übernahmen stellen die bisherigen Firmeneigner sicher, dass ihr Unternehmen in den Händen eines Finanzinvestors oder unter dem Dach eines größeren Unternehmens wettbewerbsfähig bleibt. Stakeholder und Kunden bleiben auf diese Weise bei der Stange“, erläutert Lincoln-Geschäftsführer Dr. Drill.
Die 2023 erhobenen Daten des DIHK-Reports Unternehmensnachfolge für 2024 untermauern, wie akut unter deutschen Unternehmen das Pro- blem der fehlenden Nachfolgeregelungen geworden ist. 28% der mehr als 8.200 von der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) zur Nachfolge beratenen Unternehmen erwägen demnach, ihren Betrieb über kurz oder lang zu schließen. Gegenüber dem Vorjahr ist das eine erhebliche Steigerung. Fehlende Nachfolger und Fachkräftemangel werden dabei als häufigste Gründe genannt. Knapp die Hälfte plant, ihr Unternehmen an externe Bieter zu verkaufen.
Eine Nachfolgeregelung war auch die treibende Kraft für einen der größten Deals, die Lincoln Deutschland bislang in diesem Jahr eingefädelt hat. Die Berliner AVM-Gruppe, der Hersteller der Fritz!Box mit einem Jahresumsatz von zuletzt 580 Mio. EUR, wurde an Imker Capital Partners in London verkauft. Bei dieser Gesellschaft handelt es sich um das Family Office von Rolly van Rappard, Mitgründer und Vorstand von CVC. Die 1986 gegründete AVM will nach rückläufigen Umsätzen im letzten Jahr mit neuen Produkten wieder durchstarten, darunter ein Router, der für DSL- und Glasfaseranschlüsse geeignet ist. Die bisherigen drei Geschäftsführer bleiben als Gesellschafter an Bord und halten weiter eine Minderheitsbeteiligung. Gemäß Dr. Drill ist AVM ein Paradebeispiel dafür, wie der Verkauf eines Unternehmens über die Bühne gehen kann, ohne dass ein kompletter Schnitt mit der Vergangenheit erfolgt.
Für VC- und PE-Gesellschaften bieten sich viele moderat bewertete firmen. zugleich freuen sich kleinere firmen, unter das Dach eines mittelständlers zu kommen.
Streitpunkt Bewertungen
Wie aber kommen Käufer und Verkäufer beim Ermitteln des Kaufpreises zusammen? Dr. Drill erkennt hier, dass die Käufer jetzt noch mehr auf harte Zahlen und Fakten blicken. Ein euphorisch-visionärer Ansatz, der ausschließlich zukunftsorientiert ist, trete vollständig in den Hintergrund: „Man sieht im Jahr 2024 stärker auf historische Zahlen im Verbund mit den für das laufende und nächste Jahr erwarteten Zahlen.“ Um die Unternehmensbewertung zu ermitteln, werde anstelle künftiger Wachstumsraten stärker die Rule of 40, also die Summe aus EBITDA-Marge und CAGR, herangezogen. Bei den nicht-profitablen Unternehmen werden die Bewertungsmultiples deutlich niedriger angesetzt als bei gestandenen Blue Chips.
In die Due Diligence bei Unternehmen mit KI-Bezug fließen neue Themen und Risiken ein. Die nötige Markt- reife und die Haftungsrisiken zählen dazu, aber auch geklärte Nutzungsrechte für die angewendeten KI-Tools und der Zeitraum der Amortisierung. „Um potenziellen Käufern Anhaltspunkte für die Bewertung geben zu können, haben Wirtschaftsprüfer und Bewerter Tools entwickelt, die nicht auf die klassischen Parameter wie Umsatzmodelle und Discounted-Cashflow-(DCF-)Modelle zurückgreifen“, erläutert Angelika Kapfer, Partnerin bei Advant Beiten. Als zentrales Problem macht die Rechtsexpertin die haftungsrechtlichen Fragen aus. „Firmen müssen sich bei allen KI-Technologien immer die kurze Halbwertszeit in der Regulatorik vor Augen halten. Darüber hinaus gibt es bei Vertragsabschlüssen noch keine Standards darüber, was bei KI-Technologien versicherbar ist.“ Produkte und KI-Anwendungen müssen insofern permanent dahin gehend auf den Prüfstand gestellt werden, ob sie den in Zukunft gesetzlich wirksamen Regularien entsprechen. Alle an der Transaktion Beteiligten sollten sich deshalb ordentlich Zeit nehmen „und sich auch nicht vom Wettbewerb zu einer möglicherweise vorschnellen Entscheidung drängen lassen“.
Aus der Summe dieser Faktoren ergeben sich bisweilen zwischen Käufer- und Verkäuferseite deutlich abweichende Vorstellungen von der „richtigen“ Bewertung. Wie kommen beide Parteien trotzdem zusammen? „Earn-outs sind eine Möglichkeit, um Hindernisse für den Vertragsabschluss zu umgehen, die sich aus unterschiedlichen Vorstellungen zur Bewertung ergeben. Nichtsdestoweniger bleiben sie aber eine umstrittene Klausel, die im Nachgang nicht zu großer Einigkeit führt“, meint Kapfer. Als Alternative sieht sie die Bezahlung des Verkäufers in Anteilen des Käufers. Mit dieser Variante trage der Verkäufer die Chancen und Risiken der Transaktion mit.
die große Kunst ist, die Dynamik bei transaktionen nicht zu ersticken, sondern ,intelligent´ damit zu arbeiten.
Noch schwieriger gestaltet sich die Bewertungsfrage in der Life-Sciences-Industrie mit ihren überwiegend fremdfinanzierten Start-ups. „Abhängig von der Größe und der finanziellen Ausstattung des Start-ups gibt es keine eindimensionale Methode, die sich gleichermaßen für Fundraising und M&A-Transaktionen anwenden lässt“, erläutert FCF-Investor Klozenbücher. Standardverfahren, mit denen über DCF-Modelle die künftigen Umsätze berechnet werden, sind ein Ansatz. Die Bewertungen signifikant beeinflussen könne darüber hinaus der spezifische Mehrwert eines Start-ups und seiner Technologie in Bezug auf die einkaufende Firma. Ein weiterer Faktor sei das Potenzial zur Kostenersparnis, das für Pharmapartner der Einsatz der neuen Technologien mit sich bringe.
Die Integration danach
Neben dem „Strategic Fit“ und dem richtigen Kaufpreis ist die persönliche Chemie zwischen allen Beteiligten der entscheidende Erfolgsfaktor. Ein zen- traler Punkt sind die oftmals unterschiedlichen Unternehmenskulturen. „Ich sehe hier die Verantwortung auf der Seite der Übernehmer. Start-ups bringen Dynamik, Leidenschaft, unbedingten Innovationswillen, Kreativität und Engagement mit. Was sie nicht mitbringen, ist die finale Antwort, welcher Weg zum Ziel führt“, meint Jan Pörschmann, Partner bei der Münchner M&A-Beratung atares GmbH. „Die große Kunst ist, diese Dynamik bei Transaktionen nicht zu ersticken, sondern damit ‚intelligent‘ zu arbeiten“, gibt der M&A-Berater allen Firmen mit auf den Weg, die sich Technologieexpertise durch andere Firmen zukaufen. Nach seiner Einschätzung eignen sich möglicherweise Übernahmekonsortien oder Minderheitsbeteiligungen besser, um die Vorteile der Start-up-Kultur nach einer Transaktion zu erhalten. Als Beispiel für eine erfolgreiche Übernahme, an der er und sein Team mitgewirkt haben, verweist Pörschmann auf die Akquisition der Mecomo AG durch das Familienunternehmen Giesecke+Devrient. Die im Münchner Umland ansässige Mecomo entwickelt Software und Hardware für das Tracking und Tracing von nichtstromversorgten Transportgütern.
Die Schlüsselpersonen der übernommenen Firma an Bord zu halten ist die Basis für eine erfolgreiche Integration. Das „Herrschaftswissen“ sei ein besonderes Problem bei gründergeführten Unternehmen, in denen der Entscheidungsprozess auf eine Person ausgerichtet sei, erläutert Hesselmann von DealCircle: „Der Integrationsprozess gestaltet sich extrem schwierig, wenn die bisherigen Firmeninhaber die alleinige Anlaufstelle bei allen internen Prozessen wie auch den Kunden- und Lieferantenkontakten bilden. Ein weiterer Stolperstein ist die mangelhafte steuerliche und juristische Dokumentation des operativen Geschäfts, wenn etwa langlaufende Geschäftsbeziehungen per Handschlag mit dem Firmenchef bestätigt wurden.“ Wer diese Punkte im Vorhinein klärt, kann sich im Nachhinein reichlich Ärger ersparen. Damit die eigenen Experten mit dem Team der Partner beziehungsweise übernommenen Firmen richtig andocken, empfiehlt sich der Aufbau von eigenen IT-/IP-Kompetenzzentren. Spielen all diese Faktoren zusammen, zahlt sich der Zukauf oder die Partnerschaft am Ende für alle Beteiligten aus.
es gibt bei vertragsabchlüssen noch keine standards darüber, was bei KI-Technologien versicherbar ist.
FAZIT
Um nicht ins Hintertreffen zu geraten, stehen immer mehr mittelständische Unternehmen vor der Aufgabe, per Akquisition technologisches Know-how in verschiedenen Bereichen der Digitalisierung zu erwerben. Die aktuell niedrigen Firmenbewertungen bieten ein günstiges Marktumfeld dafür. Wer auf Käuferseite im Bereich der künstlichen Intelligenz aktiv wird, muss eine Reihe von Sonderfaktoren beachten. Die finale Etappe zum Erfolg ist die Integration der häufig unterschiedlichen Firmenkulturen und bedarf des richtigen Fingerspitzengefühls.
👉 Dieser Beitrag erschien in der aktuellen Magazinausgabe der Unternehmeredition 3/2024
Stefan Riedel
Stefan Riedel ist freier Autor bei GoingPublic Media und selbständiger Redakteur mit Schwerpunkt Finanzen und Wirtschaft.