Die Beratungsgesellschaft Wintergerst hat sich auf Familienunternehmen mit einem Umsatz zwischen 20 Mio. und 100 Mio. EUR spezialisiert. Wir sprachen mit Volker Wintergerst und Christian Scharfenberger über die Herausforderungen für den inhabergeführten Mittelstand.
Unternehmeredition: Wie sehen Sie die aktuelle Situation im M&A-Geschäft in Deutschland vor dem Hintergrund zahlreicher Krisen wie Ukrainekrieg, Inflation und steigender Zinsen?
Christian Scharfenberger: Insbesondere im produzierenden Bereich sehen wir auch viele Unternehmen, die mit steigenden Energiepreisen und höheren Materialkosten zu kämpfen haben. Dazu kommt eine stärkere Konsumzurückhaltung. Aufgrund dieser Unsicherheiten ist eine Zurückhaltung bei Unternehmenskäufen zu spüren. Auch Finanzinvestoren, die ja auch mit Fremdkapital arbeiten, halten sich derzeit zurück, weil das Kapital deutlich teurer geworden ist.
Wie können unterschiedliche Preiserwartungen auf der Käufer- und Verkäuferseite zusammengeführt werden?
Volker Wintergerst: Das ist am Ende eine Vertrauensfrage. In welchem Maße glaubt der Unternehmer mir als M&A-Berater, dass meine Einschätzung richtig ist? Unsere Aufgabe ist es, den Käufer zu motivieren, möglichst viel zu bezahlen. Trotzdem sollten wir gemeinsam mit einer realistischen Vorstellung in den Prozess gehen. Das bedarf Überzeugung. Es dauert oft lange, bis ein Unternehmer sich für oder gegen den vorgeschlagenen Weg entscheidet. Meistens wählt er aber doch den Verkauf, auch wenn am Ende weniger Geld für seine Firma bezahlt wird. Viele Unternehmer sind auch erschöpft angesichts der zahlreichen aktuellen Herausforderungen wie Fachkräftemangel, Bürokratie, neues Lieferkettengesetz, hohe Besteuerung. Diese Erschöpfung ist deutlich spürbar – und sie ist ein Grund dafür, dass in Zukunft tendenziell immer mehr Unternehmen auf den Markt kommen werden. Unternehmer trauen es sich oftmals nicht mehr zu, diese vielen neuen Herausforderungen zu meistern.
Wie verläuft ein typischer Verkaufsprozess?
Wintergerst: Im ersten Schritt entwickeln wir eine Investmentstory. Dazu schauen wir uns das Geschäftsmodell des Unternehmens an: Wo liegen die besonderen Stärken? Wie sind die Aussichten? Im zweiten Schritt geht es um Recherche und Ansprache der richtigen Bieter. Wir haben unser eigenes, gut eingespieltes Netzwerk im Bereich Private Equity. Wir wissen, was sie suchen, was sie schon haben und wo sie gegebenenfalls zukaufen möchten. Zudem haben wir Partner im internationalen Netzwerk – zwei Drittel unserer Transaktionen gehen immerhin ins Ausland. Welche Corporates infrage kommen, ermitteln wir zusammen mit dem Unternehmer. Er kennt seine Branche am besten, kennt seine Konkurrenten, seinen Markt. Gemeinsam erstellen wir dann eine Corporate-Shortlist. Im dritten Schritt stellen wir einen Bieterprozess auf. Der hat zwei Vorteile gegenüber der Festlegung auf nur einen Käufer: Erstens verhilft er zu mehr Transaktionssicherheit, denn wenn der eine Käufer abspringen sollte, bleiben noch andere im Rennen; zweitens ergibt sich auf diese Weise für den Verkäufer der beste Preis, denn im Bieterverfahren bringen wir die Käufer tendenziell dazu, an den Rand dessen zu gehen, was sie gerade noch bezahlen wollen. Ob man den Bieterprozess mit vielen oder eher mit wenigen Investoren ansetzt, muss man im Einzelfall entscheiden.
Welche Besonderheiten kennzeichnen das M&A-Geschäft bei Familienunternehmen?
Wintergerst: Im Unterschied zu Großunternehmen verkauft der Familienunternehmer zum ersten und einzigen Mal. Er hat keinerlei Erfahrung in diesen Dingen – er muss uns vertrauen, dass wir es gut mit ihm meinen. Dazu müssen wir herausfinden, wo der Unternehmer steht, was er wirklich will. Das Vertrauen ist die Voraussetzung dafür, dass wir gut arbeiten können. Der Unternehmer ist natürlich der Entscheider, aber wann er was entscheiden muss, das legen wir mehr oder weniger fest.
Scharfenberger: Bei Familienunternehmen ist der Eigentümer sehr häufig auch der Geschäftsführer. Beim Verkauf geht damit auch die Integrationsfigur von Bord und mit ihr viel Know-how. Der Rückzug des Altgesellschafters, der auch Geschäftsführer ist, ist für den Käufer daher immer ein Risiko. Das ist definitiv eine Besonderheit bei Familienunternehmen. Auch ist die Datenqualität bei Familienunternehmen meist nicht ganz so hoch. Oft gibt es keine Controlling- und Reportinganforderungen − anders als in einem Konzern, wo alles transparent aufbereitet wird.
Spielt ESG eine Rolle bei Unternehmensverkäufen?
Scharfenberger: Das Thema ist überall präsent. Im Consumer-Bereich ist es noch stärker sichtbar, weil man es dort auch direkt für Marketingzwecke nutzen kann, aber in Zeiten hoher Energiepreise spielt es natürlich auch bei Produktionsunternehmen eine wichtige Rolle. Wenn man im Unternehmen den Energieverbrauch oder den Energiemix optimieren kann, hat man ein enormes Einsparpotenzial. ESG ist sehr stark fokussiert auf das „E“, also Environment. Energieverbrauch und Carbon Footprint, das beschäftigt die Unternehmen über alle Branchen hinweg. Es gibt inzwischen auch schon Private-Equity-Fonds, die nur dort investieren, wo sie eine nachvollziehbare ESG-Story
sehen.
Wie wird sich das M&A-Geschäft mittelfristig entwickeln?
Scharfenberger: Der M&A-Markt wird aktiv bleiben, auch das Thema Unternehmensnachfolge. Ich glaube nicht an die ganz große Welle, von der man immer spricht – sondern eher an ein stetig anhaltendes Grundrauschen im Bereich der Unternehmensnachfolge. Die Konjunktur spielt überdies immer eine Rolle. In schwierigen Zeiten gibt es immer wieder Carve-outs, weil Konzerne sich von defizitären Assets trennen wollen oder von solchen Einheiten, die strategisch nicht mehr so gut zum Kerngeschäft passen, oder auch, um angesichts einer unsichereren Zukunft etwas mehr Liquidität zu haben. In Zeiten des ökonomischen Aufschwungs hingegen gibt es Wachstumsfantasien und Unternehmen, die ihre Wertschöpfung durch Zukäufe vergrößern wollen. Deshalb bin ich überzeugt, dass der M&A-Markt weiter aktiv bleibt.
Wintergerst: Nach den Topfirmen mit sehr gutem Geschäftsmodell wird es immer Nachfrage geben. Die Frage ist eher, wer überhaupt kauft. Übernehmen große Konkurrenten aus dem In- und Ausland, also Strategen? Es besteht ein gewisser Trend zu größeren Gruppen, weil man dann auch die größere Bürokratie besser bewältigen kann. Die Private-Equity-Gesellschaften werden ebenfalls weiterhin aktiv sein; deren Investments werden sogar eher zunehmen. Strukturell wird sich das Geschäft eher verstärken. Einerseits werden mehr Unternehmen auf den Markt kommen, weil die Unternehmer einfach nicht mehr wollen, andererseits ist die Nachfrage durch Private Equity da, weil es Anlagedruck gibt. Und auch Strategen sind weiterhin interessiert, sich zu verstärken. Kurzfristig ist zwar Krise, aber die wird im M&A-Geschäft nicht nachhaltig sein.
Dieses Interview erschien in der Ausgabe 3/2023 der Unternehmeredition mit dem Schwerpunkt “Unternehmensverkauf”.
ZU DEN PERSONEN
Volker Wintergerst ist Managing Partner bei der Wintergerst Societät für Unternehmer-Beratung und verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Beratungsbranche. Nach fünf Jahren Verantwortung als Prüfungsleiter von Einzel- und Konzernjahresabschlüssen großer mittelständischer Unternehmensgruppen und Projektleiter im Corporate-Finance-Umfeld war er zehn Jahre geschäftsführender Partner der Unternehmensberatung der Ebner Stolz Gruppe.
Christian Scharfenberger ist Director bei der Wintergerst Societät für Unternehmer-Beratung. Der ausgewiesene Corporate-Finance-Experte begleitet seit mehr als zehn Jahren mittelständische Familienunternehmen bei der Umsetzung von Finanzierungsvorhaben, Nachfolgeregelungen und M&A-Transaktionen.
Bärbel Brockmann
Bärbel Brockmann ist eine freie Wirtschaftsjournalistin, die schwerpunktmäßig über Finanz-, Energie- und Immobilienthemen schreibt. Die frühere Leiterin des Düsseldorfer Korrenspondentenbüros der Nachrichtenagentur Reuters begann ihre berufliche Karriere bei einer großen Regionalzeitung.