Der Tesla der Bauindustrie

Das Familienunternehmen Goldbeck revolutionierte die Branche mit flexiblen Systemelementen

Foto: © Goldbeck GmbH

Bauen wie am Fließband – mit vorgefertigten Komponenten und standardisierten Abläufen, schnell und zuverlässig im Zeitplan. Was nach Zukunftsmusik klingt, ist beim Familienunternehmen Goldbeck seit Jahrzehnten gängige Praxis.

Es gibt vermutlich kaum Unternehmen, die die beiden Hightechkonzerne BioNTech und Tesla zu ihren Kunden zählen können. Im Herbst des vergangenen Jahres stellte das Familienunternehmen Goldbeck die Gigafactory von Tesla im brandenburgischen Grünheide fertig – zwei Wochen schneller als ursprünglich angeboten. Gut 30 Kilometer entfernt steht der Berliner Skandalflughafen BER – ein bislang einsamer Rekordhalter  in Sachen Verzögerung und Kostenexplosion. Innerhalb von sportlichen drei Monaten Bauzeit stellte Goldbeck Ende 2021 ein Hallengebäude fertig, in dem sogenannte BioNTainer aufgestellt werden können – modulare mRNA-Produktionseinheiten für BioNTech. Damit leistet das Unternehmen einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung der Coronapandemie, denn so konnte die Produktion des Impfstoffs schnell gesteigert werden.

Revolutionäre Idee für die Bauindustrie

Was also ist das Geheimnis der relativ jungen Baufirma aus der Kleinstadt Bielefeld, die eigentlich gar nicht existiert und in der die ICE-Züge manchmal nicht halten? Die Wurzeln des 1969 gegründeten Unternehmens liegen im klassischen Stahlbau − also beispielsweise Tragkonstruktionen für Hallen oder aber großen Treppentürmen, Plattformen und Bühnen. Gründer Ortwin Goldbeck ließ sich vom privaten Fertighausbau inspirieren und entwickelte das erste gewerbliche Bausystem. Es handelte sich um einen Baukasten voller flexibel einsetzbarer Systemelemente, die sich in Fabriken vorproduziert zu schlüsselfertigen Gewerbehallen montieren lassen. Mit dieser Idee revolutionierte Goldbeck die Baubranche. Die ersten größeren Projekte waren Parkhäuser, die nach diesem Prinzip der schnell montierbaren Systemelemente errichtet wurden.

Größter Baukonzern in deutscher Hand

Foto: © Goldbeck GmbH

Schnell wurde klar: Die elementierte Bauweise lässt sich auch auf andere Gebäudetypen übertragen. Jan-Hendrik Goldbeck – einer der beiden aktuellen Geschäftsführer – nennt das inzwischen bildhaft „Legoprinzip“. Damit war der Grundstein gelegt für die weitere Entwicklung zu einem Konzern mit mehr als 10.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von mehr als 4 Mrd. EUR. Goldbeck ist damit das größte Bauunternehmen in Deutschland, das sich auch in deutschem Besitz befindet. Die Hochtief AG mit einem Umsatz von mehr als 20 Mrd. EUR gehört der spanischen ACS-Gruppe und die beiden Firmen Strabag und Züblin, die im Umsatzranking noch knapp vor Goldbeck liegen, haben eine österreichische Muttergesellschaft. Und diese Spitzenposition in einer traditionellen Industrie wurde nur innerhalb von etwas mehr als 50 Jahren erreicht – weitab von Chips, E-Commerce und Kryptowährungen.

Zweite Generation setzt Erfolgsweg fort

2007 übergibt Ortwin Goldbeck den Staffelstab an seine Söhne Jörg-Uwe und Jan-Hendrik Goldbeck. Zu diesem Zeitpunkt war aus einem Sieben-Mann-Betrieb bereits ein Konzern mit 1.600 Mitarbeitern und einem Umsatz von über 700 Mio. EUR Umsatz geworden. Die beiden Söhne ruhen sich nicht auf dem Erreichten aus, sondern erschließen neue Marktbereiche, zum Beispiel mit dem Produkt Wohngebäude und den Goldbeck Parking Services. Und sie stellen konsequent die Weichen für eine digitale Zukunft, indem sie die Technologisierung des Bauens, die Standardisierung von Prozessen und die Digitalisierung des Unternehmens vorantreiben. Bei der Standardisierung gehen die Macher bei Goldbeck noch einen Schritt weiter: Sie starten Kooperationen mit Zulieferern, die Komponenten zu einem Bauprojekt beisteuern. Partner von Goldbeck sind nach diesem Prinzip inzwischen Global Player wie der Fensterbauer Schüco, das Heizungsunternehmen Viessmann, der Aufzugbauer Otis und der Pumpenhersteller Wilo. Das Prinzip ist klar: Durch die enge Zusammenarbeit der Unternehmen sinkt der Aufwand für Planung, Entwicklung und Montage. Das spart Zeit und Kosten – wovon am Ende der Auftraggeber profitiert.

Bereits ab 1984 ein Mitarbeiterbeteiligungsprogramm

In dem familiengeführten Konzern herrscht ein ganz besonderer Spirit. Goldbeck folgte dem Beispiel des benachbarten Bertelsmann-Konzerns und führte bereits 1984 ein Mitarbeiterbeteiligungsmodell ein. Im ersten Jahr nach Einführung gab das Unternehmen 160 Anteilsscheine mit einem Volumen von 100.000 DM aus; zu diesem Zeitpunkt zählte es rund 600 Beschäftigte. Der Gründer Ortwin Goldbeck sagte einmal: „Wir schreiben Strategien mit Bleistift und Werte mit Füller.“ Anders als Kapitalgesellschaften kann Goldbeck nach Aussage eines Unternehmenssprechers sehr unabhängig agieren und muss sich nicht primär von Quartalszahlen lenken lassen. Stattdessen denke und handele das Unternehmen wert- und zukunftsorientiert sowie besonders nachhaltig. Das zeigt sich auch an der Abwicklung der laufenden Projekte: Dank des selbstentwickelten Bausystems – des elementierten Bauens mit System – erfolge der Neubau sehr ressourcenschonend. Wesentliche Bauelemente werden in den eigenen 13 Werken industriell vorgefertigt, „just-in-time“ zur Baustelle geliefert und vor Ort innerhalb kürzester Zeit zu einer schlüsselfertigen Immobilie montiert. Dabei kann ein erheblicher Teil der üblicherweise anfallenden CO2-Emissionen und Ressourcen verringert werden.

Digitaler Zwilling von Neubauprojekten

Um die Nachhaltigkeit in der Bau- und Immobilienbranche voranzutreiben, sollen Gebäude künftig zunächst digital entstehen – sozusagen als digitaler Zwilling. Digitale Technologien zeigen dann über den gesamten Lebenszyklus des Gebäudes hinweg Optimierungsmöglichkeiten auf, die helfen können, ein noch nachhaltigeres Gebäude zu schaffen, Material und damit Kosten zu sparen. Weiterhin will sich Goldbeck mit der Revitalisierung von Gebäuden beschäftigen. Wird der Rohbau weiterverwendet, können bis zu 50% der bei einem konventionellen Neubau entstehenden CO2-Emissionen eingespart werden.

Von der aktuell schwierigen Lage in der deutschen Bauindustrie und Immobilienwirtschaft bemerkt das Bielefelder Unternehmen wenig: Innerhalb eines Geschäftsjahres realisiert Goldbeck europaweit rund 500 Projekte. Einen wesentlichen Rückgang der Nachfrage spürt die Firma nach Angaben eines Unternehmenssprechers nicht. Die systematisierte Bauweise sorge dafür, dass sie trotz der Preiserhöhungen am Materialmarkt auch weiterhin vergleichsweise wirtschaftlich Projekte realisieren könne. Auch Materialengpässe habe man durch die industrielle Vorfertigung und eine langfristige Einkaufsstrategie „bis zu einem gewissen Grad“ ausgleichen können. Bisher geht es bei Goldbeck weiter steil bergauf. Der Auftragseingang hat sich seit dem Geschäftsjahr 2015/16 auf 4,6 Mrd. EUR mehr als verdoppelt.


Kurzprofil 

Goldbeck GmbH

Gründungsjahr: 1969

Branche: Bauindustrie

Unternehmenssitz: Bielefeld

Umsatz: 4,096 Mrd. EUR (Bauleistung, 2021)

Mitarbeiterzahl: circa 8.500

www.Goldbeck.de

 

Dieser Beitrag erscheint in der Unternehmeredition 3/2022.

Autorenprofil
Alexander Görbing

Als Redakteur der Unternehmeredition berichtet Alexander Görbing regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Zu seinen Schwerpunkten gehören dabei Restrukturierungen, M&A-Prozesse, Finanzierungen sowie Tech-Startups.

Vorheriger ArtikelAutozulieferer Dr. Schneider insolvent
Nächster Artikelifo Institut erwartet für Deutschland Rezession und Inflation