Der Wirtschaftsstandort Deutschland steht vor großen Herausforderungen. Internationale Krisen und Wirtschaftskonflikte trüben die Aussichten der exportorientierten deutschen Wirtschaft ein, ohne dass Unternehmen diese unmittelbar beeinflussen können. Andere Krisenursachen sind politisch „hausgemacht“: Hohe Steuern, überbordende Bürokratie und steigende Energiekosten belasten gerade deutsche Unternehmen zunehmend. Familienunternehmen und Mittelständler müssen sich in diesem schwierigen Umfeld mit Mut und Kreativität behaupten.
Als CEO eines globalen mittelständischen Dienstleistungsunternehmens sehe ich täglich die Herausforderungen, denen wir uns in Deutschland stellen müssen. Die Energieversorgung ist vom Pluspunkt zum Sorgenkind der deutschen Wirtschaft geworden. Politische Weltkrisen und die abrupte Energiewende haben die Kosten explodieren lassen.
Ursachen-Mix
Es fehlt ein umfassendes Konzept für den Umbau hin zu erneuerbaren, klimaneutralen, verlässlich verfügbaren, aber gleichzeitig finanzierbaren Energiesystemen. Deutschland hat hier im Vergleich mit anderen Ländern in der Energiekrise deutliche Defizite angehäuft. Dies ist einer ideologisch geprägten Energie- und Umweltpolitik zu verdanken, von der wir dringend wieder wegmüssen. Vernachlässigung von effizienten „herkömmlichen“ Energiequellen, die als Brückentechnologien dringend gebraucht werden, Defizite beim Ausbau der für die Energiewende unerlässlichen Leitungs- und Speicherinfrastruktur, Verklärung der Leistungsfähigkeit der aktuellen erneuerbaren Energien ohne Berücksichtigung der realen Bedürfnisse der Wirtschaft und gelegentlich auch schlichte Missachtung physikalischer und wirtschaftlicher Zusammenhänge haben in meinen Augen zu einer Fehlorientierung geführt.
Wir brauchen endlich einen pragmatisch-offenen Blick, marktwirtschaftliche statt regulatorischer Ansätze, die explizite Berücksichtigung der Wettbewerbsfähigkeit der Energieversorgung als wichtiger Standortfaktor. Nach meinem Eindruck stellen sich die Unternehmen in Deutschland bereits mit innovativen Ideen den Anforderungen von Energiewende und Dekarbonisierung, sie brauchen aber von Seiten der Politik realistische und verlässliche Rahmenbedingungen sowie Freiraum und Anreize, die Belastungen aus der energetischen Kehrtwende auch finanziell schultern zu können.
Der demographische Wandel und der Fachkräftemangel verschärfen die Situation zusätzlich. An einem Standort mit hohen Produktionskosten stellt die Verfügbarkeit von in den Technologien von morgen top ausgebildeten und motivierten Fachkräften einen wesentlichen Investitionsanreiz dar – ein Vorteil, den Deutschland lange bieten konnte. Nun trifft eine hohe Nachfrage der Unternehmen auf einen schon heute entwicklungshemmend wirkenden und sich in Zukunft noch verschärfenden Fachkräftemangel. Und Deutschland läuft Gefahr, auch am internationalen Arbeitsmarkt hinsichtlich Ausbildungsqualität, Technologie- und Branchenorientierung und Leistungsbereitschaft abgehängt zu werden. Hier müssen wir die Leitplanken wieder verstärkt auf die Bedürfnisse des Marktes und der Unternehmen ausrichten. Dazu gehört der Mut, eine gezielte und pragmatische Einwanderungspolitik für die gefragten Fachkräfte zu betreiben und ein kluger Spurwechsel vom Asylverfahren zur Arbeitsimmigration. Von allen Akteuren ist ein agiles Mindset gefragt, gerade in Krisenzeiten die Prioritäten neu an Leistungsbereitschaft auszurichten, Aufgaben effizienter zu erledigen, sich proaktiv an neue Entwicklungen anzupassen. Jedes Unternehmen muss erkennen, dass es nur mit einem zukunftsweisenden Geschäftsmodell, stetiger Innovationsbereitschaft und einer offenen Führungs- und Unternehmenskultur in dem sich abzeichnenden Wettstreit um Talente wird bestehen können.
Steuern und Bürokratie als Wachstumsrisiko
Angemessene Steuereinnahmen sind wichtig, damit der Staat die vielfältig an ihn gestellten Anforderungen, auch von Seiten der Wirtschaft, erfüllen kann. Unser Steuersystem jedoch ist zu einem echten Wettbewerbsnachteil der deutschen Wirtschaft geworden. Deutschland ist mittlerweile zum Höchststeuerland avanciert. Von einer Steuerquote von 15%, auf die man sich international als Mindestbesteuerung geeinigt hat, sind wir mit rund 30% meilenweit entfernt, während andere Länder, beispielsweise die Steuerpläne einer neuen Trump-Regierung in den USA, diese Besteuerungsgrenze für ihre Wirtschaft anpeilen. Gerade Familienunternehmen, die häufig als Personengesellschaften strukturiert sind, leiden darunter, dass sie noch immer nicht auf einfache Weise mit der Steuerbelastung thesaurierter Gewinne bei Kapitalgesellschaften gleichgestellt sind, sondern bis zu 50% ihres Ergebnisses an den Staat abführen müssen.
Zusätzlich leiden Unternehmen unter einer übersteigerten Compliance-Belastung. In kaum einem anderen Land müssen Unternehmen so viele Ressourcen einsetzen wie in Deutschland, um ihre steuerlichen Pflichten zu erfüllen. Hohe Steuersätze, im Vergleich mit anderen Staaten geringe steuerliche Investitionsanreize und ein komplexes, langwieriges und wenig digitalisiertes Besteuerungsverfahren treiben zunehmend auch heimische Unternehmen dazu, gerade für wichtige Zukunftsinvestitionen nahe an den wachsenden internationalen Märkten zu investieren und sich dabei steuerlich attraktivere Standorte im Ausland zu suchen. Die unabhängige Expertenkommission „Vereinfachte Unternehmenssteuer“ beim BMF hat unzählige Maßnahmen zu einer Entlastung der Unternehmen aufgezeigt, ohne die finanzielle Leistungsfähigkeit des Staates zu überfordern. Jetzt ist es an der Politik, dieses Konzept auch umzusetzen.
Ein weiteres Problem ist die überbordende Bürokratie auch außerhalb des Steuerrechts, die sich in den letzten Jahren verschärft hat. Eine zunehmende Regulierung der Wirtschaft, komplizierte Vorschriften, ausufernde Compliance-, Berichts- und Dokumentationspflichten, übergenaues und langsames Verwaltungshandeln sowie aufwändige und langwierige Genehmigungsverfahren schrecken mittlerweile Unternehmen und Investoren geradezu vom Standort Deutschland ab.
Wir müssen uns aktiv für eine Reform des Steuersystems einsetzen und für Deregulierung, Digitalisierung und Prozessoptimierung auf allen Ebenen staatlichen Handelns. Eine echte Steuerreform, die den Namen auch verdient und ein Belastungsmoratorium für jegliche bürokratische Vorhaben könnten die dringend erforderliche Aufbruchstimmung erzeugen.
Die Konkurrenz macht es besser
Andere Staaten haben ihre Steuerpolitik der wirtschaftlichen Situation ihrer Unternehmen angepasst, Steuersätze gesenkt und steuerliche Vergünstigungen zur Förderung der heimischen Wirtschaft genutzt. Deutschland könnte von diesen Ansätzen lernen und mehr Mut bei der Unterstützung des Mittelstands und der eigenen Hidden Champions zeigen. Ein Beispiel hierfür ist der Inflation Reduction Act der USA, der durch steuerliche Maßnahmen die Wirtschaft ankurbelt und gleichzeitig Signale für die klimapolitisch gewünschte Transformation der Wirtschaft und die Ansiedelung von Zukunftsindustrien setzt. Wir sollten uns nicht scheuen, erfolgreiche Modelle zu adaptieren, um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.
Auch ein Blick auf unsere Nachbarn in Europa kann lehrreich sein. In manchen baltischen Staaten ist die Körperschaftsteuer null, solange man keine Gewinne ausschüttet. In Osteuropa liegt die Steuerquote zum Teil bei 10%, meist unter 20%. Von Österreich kann man lernen, wie steuerliche Wirtschaftsförderung pragmatisch ausgestaltet wird.
Mit dem Wachstumschancengesetz wollte die Ampel-Regierung in Deutschland den notwendigen steuerlichen Anschub für die Dekarbonisierung in der Wirtschaft starten. Das Gesetz hat diese Erwartungen nicht erfüllt. Es wurden zwar einige bürokratische Hürden abgebaut und steuerliche Anreize gesetzt, jedoch sind die Maßnahmen nicht ausreichend, um die Sorgen der deutschen Wirtschaft zu mindern. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass Maßnahmen zum Bürokratieabbau eher in den nicht-wirtschaftlichen Bereichen beschlossen wurden. Das Fördervolumen zugunsten der Wirtschaft wurde im Vermittlungsausschuss stark zusammengestrichen und dabei gerade ein innovativer Ansatz wie die Klimaschutz-Investitionsprämie, die auch in Zeiten lahmender Konjunktur wirken könnte, nicht weiterverfolgt.
Nach meinem Eindruck stehen die USA und einige europäische Nachbarstaaten dem angebrochenen Strukturwandel weniger kritisch gegenüber als Deutschland. Wir müssen begreifen, dass es besser ist, in eine schnellere Anpassung zu investieren, statt nicht mehr marktgerechte Strukturen, Unternehmen und Arbeitsplätze über lange Zeiträume zu subventionieren. Wandel ist in der modernen Welt nicht aufzuhalten, die Aufgabe des Staates ist es, ihn strukturpolitisch und sozial abzufedern. Und der beste Weg dazu ist, moderne Strukturen, Technologien, Geschäftsideen zu fördern.
Internationalisierung als Ausweg
Eine Verlagerung von Unternehmensteilen in andere Länder kann für viele Unternehmen sinnvoll sein, gerade wenn sie auf stark kompetitiven Märkten tätig oder sehr energieintensiv sind oder wenn es sich um preissensible Massenfertigung handelt. Investitionen in den USA sind bereits steuerlich sehr interessant, unter einer zweiten Regierung Trump könnte sich dies verstärken. Im Einzelfall muss abgewogen werden. Produktionsverlagerungen kosten Geld und sind mit hohen Compliance-Kosten verbunden. Die Steuer darf nicht vergessen werden. Das deutsche Steuerrecht kennt eine Vielzahl von Besteuerungstatbeständen im Zusammenhang mit der Verlagerung von Unternehmensteilen oder -funktionen ins Ausland, die je nach Ausgestaltung und neuem Standort erhebliche Steuerbelastungen auf nicht realisierte Gewinne nach sich ziehen können. Auf jeden Fall aber wird die künftige Steuer-Compliance deutlich komplizierter, risikobehafteter und teurer. Ohne fachkundige Beratung kommt ein Unternehmen bei der Expansion nicht aus. Und die Abwicklung des Tagesgeschäfts im Spannungsfeld der fiskalischen Interessen zweier oder mehrerer Staaten fordert eine professionelle Steuerabteilung, diese muss erst aufgebaut werden und die Kosten sollten bei der Verlagerungsentscheidung mitberücksichtigt werden.
Fazit
Trotz der Herausforderungen hat der Standort Deutschland immer noch viele Vorzüge. Sicherheit und ein verlässliches Rechtssystem sind nicht zu unterschätzen. Innovative Unternehmen profitieren von einem weltoffenen und experimentierfreudigen Klima sowie einer hervorragenden Infrastruktur von Forschungs- und Wissenschaftsinstituten. Mehr gesellschaftliche Anerkennung für die Bedeutung von Unternehmertum könnte den jungen Generationen vermitteln, dass eine florierende Wirtschaft die Grundlage für Wohlstand ist.
Der Standort Deutschland ist jedoch perspektivisch bedroht, wenn nicht schnell und entschlossen an den aktuellen „Pain Points“ gearbeitet wird. Wir brauchen: verlässliche Rahmenbedingungen, weniger Regulierung im Detail, mehr Freiraum für Unternehmen. Die Politik muss das Vertrauen der Unternehmen zurückgewinnen, dass Unternehmertum und Leistungsorientierung in Deutschland erwünscht sind und gefördert werden. Staatliches Handeln muss wieder auf den Wirtschaftsstandort Deutschland einzahlen, daran muss sich die Politik jetzt primär messen lassen.