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Der eigenen Wahrnehmung trauen

Eine Unternehmenskrise kommt selten ohne Vorwarnung. Doch im Trubel des Alltags erkennen Firmenlenker Frühwarnzeichen und eigene Management-Fehler oft nicht. Zu spätes Reagieren kann jedoch fatale Folgen haben. Eine Ursachenanalyse.

Anne Koark hatte Glück: Nachdem ihre Firma 2003 Insolvenz angemeldet hatte, machte sie sich ziemlich schnell als begehrte Rednerin und Expertin zum Thema Insolvenz einen Namen. Als englische Frohnatur blieb ihr auch nichts Anderes übrig, als sofort wieder neuanzufangen: „Bei uns herrscht eine komplett andere Kultur des Scheiterns. Es wird nicht der ausgelacht, der gestürzt ist, sondern der, der liegenbleibt“, sagt die 50jährige heute. Dennoch hätte sie nicht geglaubt, dass das Thema Insolvenz für sie einmal eine so große Rolle spielen würde. Mit ihrer Firma „Trust in Business“ beriet die gebürtige Engländerin internationale Unternehmen, die sich in Deutschland niederlassen wollten. Das Geschäft lief gut, bis nach dem 11. September schlagartig amerikanische Firmen ausblieben. Einige kleinere Kunden, die bereits von Koark beraten wurden und selbst nicht in Deutschland ansässig waren, gingen selbst pleite. Koark blieb auf ihren laufenden Kosten sitzen, konnte eigene Rechnungen nicht mehr bezahlen. „Ich habe ziemlich schnell gemerkt, dass es brenzlig wurde, wollte mein Baby aber erst dann begraben, wenn es wirklich tot sein würde“, erzählt sie heute. Der Tag, an dem diese Gewissheit eintrat, kam Ende März 2003, als Koark die Gehälter ihrer 15 Angestellten nicht mehr bezahlen konnte. Im April 2003 meldete sie Insolvenz an.

So wie Anne Koark geht es jährlich etwa 20.000 Selbstständigen in Deutschland, und nicht alle gehen so gestärkt aus einer Insolvenz hervor wie sie. Tritt bei ihnen Zahlungsunfähigkeit ein, gelten die gleichen Regeln wie bei Verbraucherinsolvenzen, d.h. eine so genannte Wohlverhaltensphase, in der der Schuldner kein eigenes Konto eröffnen darf, keine Verträge abschließen kann und jedwede Einnahmen sofort in die Verfahrensmasse einbringen muss. Sind nach dieser Frist noch Schulden offen, kann die betroffene Person von ihnen befreit werden, doch bis dahin gilt: ein Leben auf dem Abstellgleis. Kein Wunder, dass die meisten von ihnen den Insolvenzantrag bis auf die letzte Minute hinausschieben und eventuelle Frühwarnzeichen übersehen oder nicht wahrhaben wollen.

Den richtigen Zeitpunkt erkennen
„Am Anfang möchte man natürlich möglichst viel retten und meint, durch genügend Engagement bekommt man alles irgendwie hin“, erzählt Koark. Und natürlich verläuft die Entwicklung hin zu einer Krise über mehrere Stadien, bei denen der Unternehmer nicht sofort tiefgreifende Schritte unternehmen muss. „Am Anfang jeder Krise steht die strategische Krise, bei der Märkte verfehlt werden oder Wettbewerber bessere Produkte herstellen“, meint etwa Sanierungsmanager Andreas Pleßke. Hier sind Korrekturen noch relativ leicht möglich, sollten aber schnell forciert und auch umgesetzt werden. Geschieht dies nicht, drohen Erträge dauerhaft einzubrechen, die Zahlen werden schlechter und die Substanz wird langsam angeknabbert. Auch hier droht jedoch noch kein Grund zur Panik, denn meist ist das Eigenkapital groß genug, um den Negativtrend abzufedern. Verpasst man dann, die Reißleine zu ziehen, entwickelt sich die Ertrags- zu einer Liquiditätskrise. Das ist der Punkt, an dem Pleßke zum Unternehmen gerufen wird und versucht zu retten, was zu retten ist.

„Meist ist es nicht so, dass die Geschäftsführer nicht selbst wüssten, was sie zur Abwendung der Krise tun müssen“, erzählt der 51-Jährige. Gerade dann stehen sie jedoch unter besonderem Druck und müssen zusätzlich zum Tagesgeschäft eine Vielzahl von Sonderaufgaben erledigen. Zügiges und konsequentes Krisenmanagement wird daher oft verschleppt. Sanierungsmanager wie Pleßke sind an die Abläufe einer Restrukturierung gewöhnt und können die Geschäftsführung entlasten. Außerdem kommen sie mit unverblümtem Blick ins Unternehmen und scheuen sich nicht davor, auch unangenehme Entscheidungen zu treffen. Dies müssen jedoch nicht zwangsläufig Entlassungen sein. „Es wäre sehr unklug, eine Restrukturierung nur auf dem Rücken der Mitarbeiter auszutragen“, sagt Pleßke. Gerade bei Mittelständlern sind sie häufig das wichtigste Kapital, außerdem würde sich das Betriebsklima und der Zusammenhalt beträchtlich verschlechtern. Diese beiden Faktoren sind jedoch gerade in einer Unternehmenskrise unerlässlich. „Die Ursachen einer Krise liegen meistens in einer Mischung aus Management-Fehlern und externen Faktoren. Es gibt eine Vielzahl von Maßnahmen der Unternehmenssanierung, die den Bestand der Arbeitsplätze gar nicht betreffen“, berichtet der Sanierungsprofi.

Unbequeme Wahrheiten akzeptieren
Deshalb gilt es, auf Management-Seite alte Wahrheiten aufzubrechen und eingefahrene Strukturen zumindest zu hinterfragen. Eine Branche, für die das seit etwa zehn Jahren paradigmatisch gilt, ist das Medien- und Verlagswesen. Auch wenn es sich hier vorrangig um den Einfluss eines externen Faktors, dem der Digitalisierung, handelt, geht doch jedes Verlagshaus anders damit um. Besonders schwer tun sich kleinere, regionale Zeitungsverlage. „Dort haben Sie oft gestandene Verlegerpersönlichkeiten, die sich den Wert der gedruckten Zeitung nicht nehmen lassen wollen“, erzählt etwa Herbert Böhnke, Unternehmensberater für das Medien- und Verlagswesen. Doch damit werden große Teile der Leserschaft vernachlässigt und unterschätzt. Auch wenn Absätze und Erträge jahrelang rückläufig waren, ließen viele Verlage die Zügel zu lange schleifen und experimentierten nicht mit neuen, gewinnbringenden Geschäftsmodellen. Das Ergebnis kommt nun knüppeldick: gerade in den letzten drei bis fünf Jahren hat sich die Entwicklung beschleunigt, viele Verlage wurden davon regelrecht überrascht. Doch um sich nun auf der digitalen Spielwiese auszuprobieren und investieren zu können, fehlt oft der notwendige Cashflow. Dann werden Berater wie Böhnke gerufen, und da die Verlagsbranche in Sachen Automatisierung gerade erst am Anfang steht, lassen sich bei ihr Entlassungen nicht so leicht vermeiden.

Frühe Anzeichen wahrnehmen
Auch viele mittelständische Unternehmen reagieren erst dann, wenn es richtig wehtut. Häufig bemerken sie den Liquiditätsengpass nicht mal selbst. „Von sich aus meldet sich keiner, wir sprechen die Unternehmen an, wenn wir beim Erstellen des Jahresabschlusses auf verdächtige Zahlen stoßen“, meint etwa Ernst Altweger, Rechtsanwalt und Steuerberater mit eigener Kanzlei in München. Über innere und strategische Ursachen der Krise können er und sein Team dann keine Auskunft geben, sie sind ja nicht täglich beim Unternehmen. Dennoch trifft auch er beim ersten Nachforschen auf Strukturen, die sich mit gesundem Menschenverstand nicht erklären lassen. „Da gibt es Firmen, deren Gesellschafter seit Jahren verstritten sind und nicht miteinander reden“, sagt er kopfschüttelnd. Ein Wunder, dass diese Unternehmen teilweise noch über Jahre hinweg stabile Erträge erwirtschaften. Anne Koark rät deshalb dazu, das Augenmerk nicht allein auf die Zahlen zu legen, sondern bei der kleinsten Absonderlichkeit einen Berater ins Haus zu holen, selbst wenn es nur das Gefühl sei, etwas könnte nicht
in Ordnung sein.

Die Angst zu versagen
Gerade diesen Schritt sieht die Insolvenzexpertin in Deutschland jedoch mit einem starken Stigma belastet. „Generell herrscht die Angst vor, es nicht alleine zu schaffen und als Verlierer dazustehen“, meint sie. Eine Angst, die sich auf das gesamte Thema Insolvenz erstrecke. Viel wäre deshalb gewonnen, wenn in der Rechtspraxis stärker zwischen kriminellen und unverschuldeten Insolvenzen unterschieden würde. Denn letztendlich kann es jeden treffen.

Verena Wenzelis
wenzelis@unternehmeredition.de

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