Der Börsengang als Wachstumsbeschleuniger

Zentrale von Frequentis: Zwölf Monate nach dem Börsengang verbucht das Unternehmen eine große Zahl neuer Aufträge. Foto: © Frequentis AG

Vor ziemlich genau einem Jahr wagte das österreichische Familienunternehmen Frequentis den Gang an die Börse – insgesamt nicht das einfachste Jahr für Börsenneulinge. Die Wiener trafen jedoch den Nerv von Investoren und machten ihre Belegschaft zu Miteigentümern. VON ALEXANDER GÖRBING

Die Bilanz beim internationalen Anbieter von Kommunikations- und Informationssystemen für Kontrollzentralen nach zwölf Monaten ist erfreulich – für Anleger und das Unternehmen gleichermaßen. Der kontinuierliche Wachstumskurs wurde fortgesetzt, ja sogar beschleunigt.

Auftragsbestand weiter angestiegen

Trotz der weltweiten Coronakrise blickt das Frequentis-Management optimistisch in die Zukunft. Basis für diese Erwartungen ist unter anderem eine Vielzahl von neuen Aufträgen – die speziell nach dem Börsengang akquiriert wurden. Kunden in unterschiedlichen Ländern wie Estland, Norwegen, Kasachstan, Spanien, Neuseeland oder Grönland kamen neu hinzu. Dies führte zum Jahresende 2019 zu einem Auftragsbestand von 391,5 Mio. EUR – ein neuer Rekordwert in der Unternehmensgeschichte.

Trotz Corona selbstbewusst

Für die Zukunft plant Frequentis den weiteren Ausbau des Vertriebsnetzes und die Fortsetzung seiner Internationalisierungsstrategie. Durch den Abschluss von Folgegeschäften bei bereits installierten Systemen hat das Unternehmen langfristig gesicherte Umsätze: Rund 40% der Erlöse der Gruppe entfallen auf diesen Bereich. Im Ausblick für 2020 rechnet Frequentis unverändert mit Zuwächsen bei Umsatz und Auftragseingang. Die Coronakrise berge allerdings gewisse Risiken, die sich aktuell nicht genau abschätzen ließen. Dennoch zeigen sich die Wiener angesichts des positiven Geschäftsausblicks selbstbewusst. Dies deckt sich mit der Einschätzung der Analysten der auch beim Börsengang begleitenden BankM, die mittelfristig ein Kursziel von 25 EUR pro Aktie erwarten (siehe Aktienverlauf).

Mitarbeiterbeteiligungsprogramm abgeschlossen

Kursentwicklung der Frequentis-Aktie (WKN: A2PHG5) seit Erstnotiz

80.000 neue Aktien wurden im April 2020 im Rahmen eines Mitarbeiterbeteiligungsprogramms angeboten. Mehr als ein Drittel der bezugsberechtigten Beschäftigten in Deutschland und Österreich nutzte diese Möglichkeit. Aufgrund der Überzeichnung mussten die abgegebenen Kauforders sogar gekürzt werden: „Wir erleben das große Interesse und die hohe Beteiligung als wesentlichen Vertrauensbeweis vonseiten der Belegschaft – die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter glauben an die Zukunft des Unternehmens“, freut sich Frequentis-CEO Norbert Haslacher über die erfolgreiche Einbindung seiner Belegschaft als Miteigentümer.

Kapitalmarkt und Familienunternehmen – kein Widerspruch

Das IPO der Frequentis AG ist ein positives Beispiel für die Wachstumsfinanzierung eines Familienunternehmens über die Börse. Neben anderen Finanzierungsinstrumenten wie Anleihen oder Mezzanine kann auch der Aktienmarkt frisches Kapital in das Unternehmen bringen. Klangvolle Namen von Familienunternehmen wie Wacker Neuson, Fielmann, Sixt, Merck oder Schneider Neureither & Partner haben diesen Weg ebenfalls erfolgreich bestritten. Ein Blick auf den DAXplus Family 30 zeigt zudem, dass Familienunternehmen bei der Kursentwicklung sogar eine bessere Performance erzielen als beispielsweise der DAX. In den vergangenen zehn Jahren lag der Wertzuwachs bei fast 180% (DAX: 85%). Nachhaltiges Wirtschaften mit einer langfristigen Perspektive zahlt sich also aus.


Emissionskonzept Frequentis AG – mit „Sicherheit“ an die Börse (von Thomas Stewens)

Für ein Unternehmen, das aus seiner Tätigkeit im sicherheitskritischen Umfeld über ein hohes Sicherheitsbewusstsein verfügt, war entscheidend, dass das IPO mit höchstmöglicher Erfolgswahrscheinlichkeit und weitestgehend unabhängig vom Marktumfeld durchgeführt werden konnte. Ziel des Börsengangs war die Transformation vom inhaber- zum managementgeführten Unternehmen einschließlich der Sicherstellung der langfristigen finanziellen Unabhängigkeit und Flexibilität der Firmengruppe.

Die Aktienmehrheit sollte dabei im Besitz der Gründerfamilie bleiben, aufbauend auf der Überzeugung, dass ein managementgeführter, global agierender und börsennotierter Konzern mit einem starken Kernaktionär die beste Wahl ist, um das Familienvermögen zu diversifizieren, gleichzeitig Kontrolle über das Lebenswerk zu behalten und den langfristigen Unternehmenserfolg zu sichern.

Vor diesem Hintergrund hat BankM den Börsengang als „Safe-IPO“ strukturiert und dadurch den sogenannten Beauty Contest um das Mandat gewonnen. In einem zweistufigen Prozess wurde dem tatsächlichen Börsengang eine vorbörsliche Platzierung vorangestellt. Zweiter Kernpunkt war die Durchführung als Dual Listing in Wien und Frankfurt.

Eine weitere Grundlage für das Projekt war die hohe Transparenz gegenüber Investoren und Medien im Rahmen der IPO-Roadshow. Anders als im Markt zuletzt üblich, war das ‚Public‘ im IPO für uns ausgesprochen wichtig, genauso wie die Einbindung von Privatanlegern. Gleichzeitig wurde die Equity Story nicht auf unsichere Zukunftsfantasien ausgerichtet, sondern das stabile, konjunkturunabhängige Geschäftsmodell, die langjährigen Kundenbeziehungen aus über 70 Jahren Historie und mehr als 30 Jahre ununterbrochener Gewinne standen im Fokus: mit Blick auf das aktuelle Kapitalmarktumfeld genau die richtige Entscheidung.

Thomas Stewens ist Gründungs-partner und Vorstand der BankM und hat das IPO der Frequentis AG begleitet.
Thomas.Stewens@bankm.de

Ergebnis

Mit diesem Konzept gelang Frequentis im Mai 2019 das erste echte IPO des Jahres. Und das in einem Umfeld, in dem andere Börsengänge abgesagt wurden. Insgesamt wurde bei Pre-IPO und IPO ein Volumen von rund 70 Mio. EUR platziert. Hervorzuheben ist dabei das hohe Zeichnungsinteresse aus dem Retailbereich – rund 20% des Platzierungsvolumens aus dem öffentlichen Angebot. Und auch nach dem IPO hat sich Frequentis kursseitig gut entwickelt.


Interview mit Renata Bandov: „Ein Börsengang bietet Sichtbarkeit und Glaubwürdigkeit“

Unternehmeredition: Frau Bandov, Familienunternehmen blicken meist skeptisch auf den Kapitalmarkt. Wie überzeugen Sie deren Chefs?
Bandov: Überzeugen ist nicht das richtige Wort. Unsere Aufgabe besteht darin, zu informieren und die Chancen des Kapitalmarkts aufzuzeigen. So erhalten Unternehmen über einen Börsengang Eigenkapital, das ihnen unbefristet zur Verfügung steht. Damit können langfristige strategische Ziele realisiert werden, die mit anderen Finanzierungsformen nur schwierig umsetzbar wären.

Renata Bandov verfügt über mehr als 15 Jahre Kapitalmarkt- und Bankingerfahrung und arbeitet seit 2009 für die Gruppe Deutsche Börse. Als Leiterin des Bereichs Pre-IPO & Capital Markets verantwortet sie dort den gesamten Listingprozess, die Betreuung von Emittenten und Neukunden sowie das vorbörsliche Geschäft mit dem Deutsche Börse Venture Network.

Können diese Chancen die Angst vor Kontrollverlust bei Familienunternehmen übersteigen?
Dieses Argument höre ich häufig. Aber eine Börsennotiz bedeutet nicht pauschal, dass die Unternehmerfamilie ihre Kontrolle verliert. Dafür gibt es beispielsweise die Rechtsform der Kommanditgesellschaft auf Aktien. Und es ist auch nicht notwendig, alle Aktien eines Unternehmens an die Börse zu bringen. Finanziell kann ein Börsengang durch die hohen Volumina Investitionen in neue Technologien oder eine Expansion ermöglichen. Zusätzlich bietet er international Sichtbarkeit und auch Glaubwürdigkeit. Geschäftspartner und potenzielle Mitarbeiter werden auf neuen Wegen erreicht. Unternehmen sollten sich die Transparenz der Börse also zunutze machen.

Der Private Equity-Markt hat sich rasant entwickelt. Läuft dieser der Börsennotiz den Rang ab?
Ein Börsengang und Private Equity schließen sich nicht aus. Private Equity hat eine mittelfristige Investitionsstrategie – in der Regel folgt ein Exit nach sieben bis zehn Jahren. Dann folgt meist ein Verkauf oder eben ein Börsengang. Am Kapitalmarkt haben gerade Familienunternehmen gute Karten: Durch ihre langfristige Ausrichtung können sie auf eine breite und stabile Investorenbasis an der Börse setzen, darunter Ankerinvestoren, die wertvolle strategische Impulse liefern können.

Road to IPO: Der Weg an die Börse – Praktisches Vorgehen und Erfolgsfaktoren


Kurzprofil Frequentis AG

Branche: Control Center Solutions
Firmensitz: Wien (A)
Beschäftigte: ca. 2.000
Umsatz 2019: 303,6 Mio. EUR (+6%)
Börsenwert: ca. 236 Mio. EUR
Internet: www.frequentis.com

Autorenprofil

Als Redakteur der Unternehmeredition berichtet Alexander Görbing regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Zu seinen Schwerpunkten gehören dabei Restrukturierungen, M&A-Prozesse, Finanzierungen sowie Tech-Startups.

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