Das Wunder von Königsbronn

„Glück auf“ für Hüttenwerke: Der älteste Industriebetrieb Deutschlands wiedererstarkt

Foto: © Hüttenwerke Königsbronn GmbH

Für die Schwäbischen Hüttenwerke (SHW) sah es schon einmal schlecht aus. Als die 1365 gegründete, traditionsreiche Gießerei im schwäbischen Königsbronn vor gut drei Jahren bereits zum dritten Mal vor der Insolvenz stand, dachten alle, es sei vorbei. Doch der älteste Industriebetrieb Deutschlands – nun wieder die „Hüttenwerke Königsbronn“ – hat überlebt. Seine bemerkenswerte Wiedererstarkung verdankt das Unternehmen nicht zuletzt dem beherzten Engagement Betroffener und dem Einstieg erfahrener Unternehmenssanierer aus dem Hause One Square.

In den Hüttenwerken Königsbronn werden täglich Tonnen von heißem Eisen zu Walzen verarbeitet. Die Auftragsbücher sind voll, denn der Papiermarkt boomt – und in kaum einer Papiermaschine auf der Welt sind die 80 Tonnen schweren Kalanderwalzen nicht in der letzten Stufe. Dass die Hüttenwerke als einer der weltweit wenigen Walzenhersteller heute weiter für Kunden wie etwa Papiermaschinenbauer gießen, war lange unsicher. „Ein paar Mal stand das Unterfangen auf der Kippe“, sagt der ehemalige Betriebsratschef und heutige Werksleiter Fred Behr und bekennt: „Es gab Momente, in denen wir befürchteten: Das kriegen wir nicht hin.“ Umso größer sei die Erleichterung gewesen. „Wir haben in der Führung endlich wirklich kompetente Leute“, erklärt Behr. „Die Kosten werden uns nicht mehr davonlaufen, wie es früher häufig der Fall war.“ Die neuen Gesellschafter seien fähige Manager.

In den Hüttenwerken von Königsbronn werden täglich Tonnen von heißem Eisen zu Walzen verarbeitet; Foto: © Hüttenwerke Königsbronn GmbH

„Wir sind von einem Kontakt in der Führungsebene der IG Metall auf das Unternehmen aufmerksam gemacht worden“, sagt Dipl.-Ing. Wolf Waschkuhn, der geschäftsführende Gesellschafter der HWK sowie gleichzeitig der One Square Gruppe. Der Kontakt zum Insolvenzverwalter und ein Besichtigungstermin seien bald arrangiert gewesen. „Uns war schnell klar, dass es hier einen konsolidierten Käuferkreis gibt, den die seinerzeitige SHW als einer von zwei Hauptlieferanten weltweit belieferte“, erzählt Waschkuhn. Und so sei auch sofort klar gewesen, dass kundenseitig ein Interesse bestehen musste, dieses große und traditionelle Unternehmen zu erhalten. „Wir leiden nicht unter einem Helfersyndrom“, erklärt Waschkuhn, „aber wir sehen sofort, ob ein Unternehmen gerettet werden kann oder nicht.“

One Square tritt als Beratungsgesellschaft für komplexe Sondersituationen nicht selbst in der Rolle des Investors auf. Deshalb kam ein anderes Konstrukt für eine Unternehmensrettung zum Einsatz, nämlich die sogenannte Rescue Investment Vehicle Alternative (RIVA). Dabei wurde eine neue Gesellschaft gegründet – aus der SHW wurde die HWK – und die One-Square-Geschäftsführer Wolf Waschkuhn und Frank Günther übernahmen je ein Drittel der Gesellschaftsanteile; das verbleibende Drittel wurde an die Mitarbeiter ausgegeben.

„Die Kunden wollten die Firma ja nicht selbst kaufen“, erläutert Waschkuhn. „Stellen Sie sich vor, einer der beiden Großkunden hätte die HWK gekauft – damit wäre automatisch ein Teil ihres Geschäfts weggefallen. Nur ein neutraler Dritter und erfahrener Unternehmer konnte diese Rolle ausfüllen.“

Rettung durch Personal, Kunden und Leasinggeber

Waschkuhn führt die erfolgreiche Sanierung im Wesentlichen auf drei Faktoren zurück: eine Verringerung der Personalkosten, die Übernahme der Anlauffinanzierung durch die loyalen Kunden sowie die weitere Bereitstellung der geleasten Maschinen und Anlagen.

Foto: © Hüttenwerke Königsbronn GmbH

Die Mitarbeiterzahl wurde von 160 auf 80 reduziert. Trotzdem seien die Personalkosten noch zu hoch gewesen, worunter selbst die profitablen Aktivitäten litten. Die gekündigten Mitarbeiter sahen von Klagen gegen die Kündigungen ab und die Belegschaft verzichtete für einen Übergangszeitraum auf einen Teil ihres Lohns und erhielt im Gegenzug Gesellschaftsanteile.

Die zweite Komponente waren die Kunden. Neben der Übernahme der Anlauffinanzierung akzeptierten diese erhöhte Preise. „Wir brauchten die Kunden in einer fortlaufenden Geschäftsbeziehung, aber auch als Finanzierer für den Anlauf“, sagt Waschkuhn. „Wir bringen als One Square ja kein Kapital ein, sondern Know-how und Beratung.“

„In dem Geschäft gehörte nichts mehr der ehemaligen SHW, alles war verleast“, schildert Waschkuhn. „Deshalb brauchten wir die Zustimmung des Leasinggebers, diese Maschinen weiter leasen zu können.“

„Diese drei Komponenten haben wir in zähen Verhandlungen mit allen drei Parteien in Einklang gebracht, darin bestand unsere Leistung“, so Waschkuhn. Zum 1. Mai 2019 habe man eine übertragene Sanierung bewerkstelligt.

Kundenbasis auf neue Füße stellen

Der Neustart war geglückt – nun galt es, die Firma mit viel Energie und Kraft in das alte, erfolgreiche Fahrwasser zurückzubringen und die Weltmarktführerschaft wiederzuerlangen. „Spätestens zwölf Monate später hatten wir sämtliche Kunden wieder an Bord und sogar zuvor verschwundene Kunden hinzugewonnen.“

Heute erwirtschaftet das Unternehmen 20 Mio. EUR Umsatz und erzielt EBITDA-Margen im zweistelligen Bereich. Inwieweit man damit wieder an die früheren Hochzeiten anknüpft, in der einmal 2.000 Mitarbeiter für die Gießerei tätig waren? „Das, was vorher war, hat uns nie so richtig interessiert. Ich begebe mich nicht in die Exegese der Fehlschläge“, sagt Waschkuhn.

rathgeber@unternehmeredition.de


„Unsere Ziele sind eine stärkere Repräsentanz in Asien und Serviceausbau“

Interview mit Wolf Waschkuhn, geschäftsführender Gesellschafter, Hüttenwerke Königsbronn GmbH und One Square Gruppe

Unternehmeredition: Herr Waschkuhn, Sie und Frank Günther sind Hauptgesellschafter der HWK. Wann planen Sie den Exit?

Wolf Waschkuhn: Da wir unsere Anteile in persönlichem Besitz halten, sind wir frei in der Wahl des Zeitpunkts. Natürlich wollen wir die HWK nicht auf immer und ewig halten. Sicher ist, dass wir nicht aussteigen werden, solange das Unternehmen noch die Nachwehen der vorherigen Misswirtschaft spürt.

Was hat es mit dem Modell „RIVA“ auf sich?

Wolf Waschkuhn; Foto: © One Square Advisors GmbH

Die Rescue Investment Vehicle Alternative (RIVA) ist ein intellektuelles Konstrukt. Es steht dafür, dass man Gesellschaften zum Nutzen von anderen hält, in diesem Fall der Kunden und Mitarbeiter. Man bietet dem Unternehmen eine Heimat, damit dort ein neues Geschäftsleben entstehen kann. Gegenüber der sonst üblichen „doppelnützigen Treuhand“ bietet die RIVA vielerlei Vorteile: Anders als ein Treuhänder agiert das Management hier wie ein echter Gesellschafter. Er stellt sicher, dass es keinen Eigenkapitalersatz gibt – das ist überaus wichtig im Falle einer RIVA für beteiligte Gläubiger, die im Gegensatz zur doppelnützigen Treuhand risikoadäquate Renditen erzielen können. Im Falle einer RIVA für Mitarbeiter stellen wir dem Lohnverzicht eine Chance auf den Wertzuwachs gegenüber.

Was sind Ihre strategischen Ziele?

2021 war geprägt von Material- und Energiepreissteigerungen. Da haben wir Preiserhöhungen durchgesetzt; nicht immer sofort, deshalb gab es ein paar Schleifspuren in der GuV. Mittelfristig müssen wir die Gesellschaft besser ausstatten, was Maschinen und Anlagen betrifft, und wir müssen sie noch besser ausstatten mit hoch qualifizierten Leuten. Einer unserer Wettbewerber, Walzen Irle, ist insolvent. Freilich gucken wir uns die Situation an. Allerdings müssen wir zunächst mal für uns selbst denken. Dazu zählt eine bessere Repräsentanz in Asien und eine Stärkung des Servicegeschäfts. Außerdem müssen wir unsere Umsatz- und Kundenbasis weiter diversifizieren; daneben setzen wir verstärkt auf Innovation.


Kurzprofil Hüttenwerke Königsbronn GmbH

Gründungsjahr: 1365

Branche: Walzenproduktion

Unternehmenssitz: Königsbronn

Umsatz: circa 20 Mio. EUR

Mitarbeiterzahl: 90

www.hwk1365.de


Zum Unternehmen

Die Hüttenwerke wurden 1365 gegründet und sind das älteste Industrieunternehmen Deutschlands. Die Hüttenwerke Königsbronn GmbH entstand aus den Gießereiaktivitäten der Schwäbischen Hüttenwerke. Damit trägt sie eine jahrhundertelange Tradition erfolgreich weiter. Die Wurzeln der Eisenerzeugung gehen zurück bis in das Jahr 1365, als Mönche in der Schwäbischen Alb mit der Eisengewinnung begannen. Die Hüttenwerke haben in der Geschichte des Orts immer eine zentrale Rolle gespielt. Zu Hochzeiten waren hier bis zu 2.000 Mitarbeiter beschäftigt. Neben den Gießern, Schmieden und Drehern gab es die Mineure in den Stollen und Feldern, die das Erz bargen, die Köhler für die benötigte Holzkohle und auch Flößer, die die Waren auf der schiffbar gemachten Brenz bis zur Donau brachten.

Dieser Beitrag ist in der Unternehmeredition 2/2022 erschienen.

Autorenprofil

Als Chefredakteurin der Unternehmeredition berichtet Eva Rathgeber regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Wirtschaftsjournalismus und in der PR.

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