In München gibt es mit m:access seit fast 20 Jahren ein eigenes Börsensegment für KMU. Doch an der Börse erfahren traditionell die Blue Chips die Aufmerksamkeit der Investoren. Was kann ein KMU-Börsensegment wie m:access leisten, auch für die Kapitalaufnahme von Unternehmen aus dem Mittelstand? Wir sprachen mit Dr. Marc Feiler, Geschäftsführer, und Dr. Rainer Wienke, Direktor Primärmarkt der Börse München.
Unternehmeredition: Was war 2005 die Intention bei der Gründung von m:access?
Dr. Marc Feiler: Wir wollten für KMU einen unbürokratischen und günstigen Weg an die Börse schaffen. Mehr Eigenkapital für den Mittelstand, mehr Unternehmen an die Börse bringen – das war die Intention damals und ist es auch heute; jungen, innovativen Unternehmen genauso wie etablierten und gestandenen Mittelständlern die Möglichkeit geben, sich über die Börse Kapital zu beschaffen, sowohl beim Börsengang als auch durch spätere Kapitalmaßnahmen. Und wenn ich auf die vergangenen 19 Jahre zurückblicke, ist uns das ganz gut gelungen. Insgesamt waren mehr als 120 Unternehmen in m:access notiert. Manche von ihnen wurden übernommen, sind in andere Segmente gewechselt, haben sich anschließend für Private Equity entschieden oder − auch das gibt es an der Börse − sind in einigen wenigen Fällen in Insolvenz gegangen. Mit Stand 31. März 2024 haben wir 72 Emittenten mit einer Marktkapitalisierung von insgesamt 11,3 Mrd. EUR gelistet. Über die Jahre wurden mehr als 180 Kapitelerhöhungen in Größenordnungen bis zu 130 Mio. EUR und einem Gesamtvolumen von weit über 1 Mrd. EUR erfolgreich durchgeführt. Alles in allem ist m:access inzwischen das weit größte Segment für den Mittelstand in Deutschland.
m:access ist ein Segment des qualifizierten Freiverkehrs. Was bedeutet das eigentlich für das Unternehmen und für die Investoren/Anleger?
Dr. Feiler: Einfach ausgedrückt müssen Emittenten weniger Anforderungen erfüllen als im Regulierten Markt, dem „Regulated Market“ im Sinne der EU-Gesetzgebung, aber mehr als im allgemeinen Freiverkehr − oder „Multilateral Trading Facility“ oder „MTF“ im EU-Jargon. Wir haben unser Segment speziell an die Bedürfnisse und Ressourcen mittelständischer Unternehmen ausgerichtet – und an den Anforderungen der Investoren. Ganz grundsätzlich müssen die Unternehmen mehr Transparenz schaffen, als es der gesetzliche Mindeststandard verlangt. Dennoch kann dies nicht als Freifahrtschein für eine risikolose Kapitalanlage dienen. Gefragt sind auf KMU spezialisierte institutionelle Investoren und die informierten Selbstentscheider unter den Privatanlegern. Der Mittelstand in Deutschland ist sehr heterogen und m:access spiegelt dies auch wider: vom traditionsreichen Maschinenbauer bis zum KI-basierten Start-up.
Aber die Unternehmen müssen ja gewisse Kriterien erfüllen, um in m:access gelistet zu werden – und das ist dann doch auch ein Zeichen für Qualität?
Dr. Rainer Wienke: Als Voraussetzung muss eine Gesellschaft einen von der BaFin gebilligten Prospekt vorlegen, wenn es sich um einen klassischen Börsengang mit öffentlichem Angebot handelt. Ansonsten genügt eine Unternehmensdarstellung, die der Börse vorgelegt werden muss. Außerdem muss das Grundkapital mindestens 1 Mio. EUR betragen und mindestens ein Jahresabschluss als Kapitalgesellschaft vorliegen; ein HGB-Abschluss genügt. Bei einem echten IPO muss darüber hinaus ein Wertpapierresearch nachgewiesen werden und ein Emissionsexperte – an der Börse München sind 21 Emissionsexperten zugelassen – benannt werden, der das Unternehmen über die gesamte Zeit an der Börse begleitet.
Es wird oft kolportiert, dass Unternehmen mit unter 100 Mio. EUR Umsatz nicht für den Kapitalmarkt geeignet seien. Mittelstand und Börsennotiz – warum kann das aus Ihrer Sicht doch passen?
Dr. Feiler: Wäre diese Aussage richtig, gäbe es zum Beispiel für viele Wachstumsunternehmen keinen Platz an der Börse. Investoren interessieren sich aber gerade für Firmen mit großen Wachstumsambitionen, weil dadurch auch große Renditepotenziale entstehen. So gibt es in m:access eine Reihe von Emittenten mit zum Teil deutlich geringeren Umsatzgrößen, die aufgrund ihrer Finanzkennzahlen erhebliche Kursfantasien auslösen. Richtig ist, dass Aufwand und Nutzen einer Börsennotierung in einem angemessenen Verhältnis stehen müssen. Dies ist aber weniger eine Frage von Umsatzgrößen als des Geschäftsmodells, der Kapitalmarktstrategie und des Verständnisses der Börse als dauerhafte Quelle der Unternehmensfinanzierung. So wurden seit 2022 auch von kleineren Unternehmen rund 50 Kapitalerhöhungen durchgeführt, darunter 34 Barkapitalerhöhungen mit einem Volumen von circa 270 Mio. EUR – deshalb bitte keine Überbetonung von Umsatzgrößen!
Sie sprachen von Erstnotiz und Börsengang mit öffentlichem Angebot, einem IPO also. Welche Wege führen Unternehmen denn in m:access?
Dr. Wienke: Der Königsweg ist selbstverständlich ein Börsengang mit Prospekt, Zeichnung der neuen öffentlich angebotenen Aktien über die Börse München und mit dem Läuten der Börsenglocke, wenn alles funktioniert hat. Beispiele in m:access waren etwa die Steico SE, VIB Vermögen AG, Erlebnis Akademie AG oder die SpVgg Unterhaching. Andere Unternehmen lassen sich zunächst ohne öffentliches Angebot in m:access listen, um (erst) nachfolgend Kapitalmaßnahmen transaktionssicher durchzuführen; eine durchaus beliebte Vorgehensweise. Hinzu kommen etliche ambitionierte Emittenten aus dem allgemeinen Freiverkehr, wie jüngst die Stock3 AG oder die Semodu AG, die über ein „Upgrade“ in m:access notieren, wie auch Gesellschaften, die aus dem Regulierten Markt in unser Segment wechseln, beispielsweise die MS Industrie AG.
Und was müssen die Emittenten befolgen, wenn sie in m:access gelistet sind?
Dr. Wienke: Sie müssen vor allem die Kernaussagen des geprüften Jahresabschlusses fristgerecht veröffentlichen, einen unterjährigen Emittentenbericht und einen Unternehmenskalender auf die Website stellen sowie jährlich an einer Analystenkonferenz teilnehmen, sei es an einer von der Börse München organisierten Konferenz oder einer gleichwertigen Investorenveranstaltung eines anderen Anbieters. Selbstverständlich gilt auch für m:access-Unternehmen die Pflicht, Ad-hoc-Mitteilungen und Directors’ Dealings auf der Website zu veröffentlichen sowie Insiderverzeichnisse zu führen – Regelungen, die für den allgemeinen Freiverkehr per se gelten und vor allem von der BaFin überwacht werden, nicht von der Börse.
Zuletzt noch eine Frage zum großen Bild. Die Politik verspricht seit Jahren, die Kapitalmärkte für Unternehmen attraktiver zu gestalten. Wie ist der Stand der Dinge und was erhoffen Sie sich von der näheren Zukunft?
Dr. Feiler: Generell fehlen in Deutschland ausreichend viele institutionelle Investoren mit Appetit auf Aktien. Welchen Impuls beispielsweise eine kapitalmarktgedeckte Altersversorgung erzeugt, lässt sich in Schweden, den Niederlanden oder dem angloamerikanischen Raum gut beobachten. Die steuerliche Benachteiligung von Eigenkapital im Vergleich zu Fremdkapital ist der Aktieninvestition ebenso abträglich wie die pauschale Besteuerung von Kapitalerträgen langfristiger Investitionen. Es ist Allgemeingut, dass wir in Deutschland und Europa einen immensen Investitionsbedarf in den CO2-neutralen Umbau der Wirtschaft, die Digitalisierung, die Infrastruktur und neuerdings auch die Verteidigung haben. Staaten und Banken können dies nicht allein abdecken – hierzu braucht es einen leistungsstarken Kapitalmarkt. Trotz dieser Rahmenbedingungen sind wir optimistisch: Viele „Nebenwerte“ sind an der Börse unterbewertet, haben ein intaktes Geschäftsmodell und enormes Aufholpotenzial. Spätestens mit der ersten spürbaren Zinssenkung der EZB rechnet der Markt mit deutlich steigenden Kursen börsennotierter KMU und einem dynamischeren IPO-Umfeld. Wir werden dann auch wieder erfolgreiche Börsengänge aus dem Mittelstand in m:access sehen.
Herr Dr. Feiler, Herr Dr. Wienke, das würde natürlich auch uns freuen. Vielen Dank für das Gespräch.
ZU DEN PERSONEN
Dr. Marc Feiler ist Geschäftsführer der Börse München. Der Rechtsanwalt begann 2004 als Justiziar und Leiter der Wertpapierzulassung seine Tätigkeit an der Börse München und war maßgeblich an der Entwicklung von m:access 2005 verantwortlich.
Dr. Rainer Wienke ist Direktor Primärmarkt und betreut seit seinem Eintritt in die Börse München im Jahr 2010 das Segment m:access.
https://www.boerse-muenchen.de
Dieses Interview erschien in der neuen Magazinausgabe der Unternehmeredition 2/2024 mit den Schwerpunkten Unternehmensfinanzierung, Restrukturierung und Digitalisierung.