Das ESUG hat zu einem Paradigmenwechsel geführt. Unternehmer können mit einer Krise offener umgehen. Gleichermaßen werden Gläubiger zum Verzicht aufgefordert. Ein Streitgespräch zwischen dem Berater Robert Buchalik und dem Insolvenzverwalter Joachim Voigt-Salus über das Spannungsverhältnis zwischen unternehmerischer Freiheit und verbürgter Vermögensrechte.
Bis Ende nächsten Jahres soll auf Wunsch der EU eine weitere Möglichkeit hinzukommen, nämlich ein außergerichtliches Sanierungsverfahren. Wird damit der Einfluss der Eigenverwaltung weiter gestärkt?
Voigt-Salus: Die EU-Initiative ist vor dem Hintergrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage vor allem der südeuropäischen Länder zu sehen. Immer dann, wenn es gesamtwirtschaftlich schlecht aussieht, ändert der Gesetzgeber strengere Insolvenzregeln zugunsten der Schuldner. Das schuldnerfreundliche ESUG hat seinen politischen Grund in der Finanzkrise 2008. Jeder, der es mit der Sanierung von Unternehmen ernst meint, kann gegen eine vorinsolvenzliche Sanierung nichts einwenden. Bei der gesetzlichen Umsetzung muss allerdings beachtet werden, dass es nicht zu einfach wird, sich von Verbindlichkeiten zu lösen. Wenn die Gläubiger verzichten, müssen sie davon auch profitieren.
Buchalik: Ich stimme überein, dass dieses Verfahren noch konkreter gefasst werden muss. Viele Fragen sind noch völlig offen. Positiv sehe ich, dass die Restschuldbefreiung schon nach drei Jahren statt wie bisher nach sieben Jahren greifen soll. Trotzdem kann die außergerichtliche Sanierung das ESUG nicht ersetzen, weil einige Möglichkeiten nicht vorgesehen sind: die Liquiditätsbeschaffung über Insolvenzgeld etwa oder der Eingriff in Mitarbeiterrechte. Von daher muss man abwarten, ob dieses Verfahren wirklich einen Fortschritt darstellt.
Inwieweit führen die angesprochenen Insolvenz- oder Sanierungsverfahren zu einem kulturellen Bruch beziehungsweise verändern das gesellschaftliche Bild von demjenigen, der unternehmerisch gescheitert ist?
Buchalik: Steve Jobs, Henry Ford und Walt Disney sind in ihrem Leben mindestens ein Mal durch ein Insolvenzverfahren gegangen. Alle drei waren große Unternehmer. So etwas werden Sie in Deutschland nicht finden. Wer hier unternehmerisch gescheitert ist, der ist meist auch persönlich stigmatisiert. Das ESUG bietet eine Plattform, sich zu outen. Trotzdem sind wir noch nicht so weit, wie in den USA das Scheitern als sogenannte Expertise zu verkaufen.
Voigt-Salus: Die Konkursgesetze in den USA sind historisch bedingt schuldnerfreundlicher. Es gibt aber auch eine andere Einstellung zum Risiko und zur Gefahr. In Deutschland verdammen wir eher das Unternehmertum. Unternehmer gelten als Reiche und Ausbeuter. Die meisten Unternehmer, die ich kenne, gehen ein Wagnis ein, haben gute Absichten und scheitern aufgrund externer Umstände, zum Beispiel weil der Gesetzgeber unvorhersehbar die Rahmen- und Kalkulationsgrundlagen ändert. Den Unternehmern dann vorzuwerfen, sie hätten persönlich versagt, ist eine zweite Ohrfeige.
Zu den Personen
Robert Buchalik ist Rechtsanwalt und unter anderem seit 20 Jahren Geschäftsführer der Unternehmensberatung und Kanzlei Buchalik Brömmekamp, die auf die Restrukturierung und Sanierung von mittelständischen Unternehmen spezialisiert ist. Seit Einführung des ESUG hat er bereits über 100 Unternehmen bei der Insolvenz in Eigenverwaltung beraten.
Joachim Voigt-Salus ist Gründungspartner der gleichnamigen Rechtsanwaltskanzlei und als Insolvenzverwalter sowie Sachwalter auch in Großverfahren aktiv. Er berät Unternehmen sowie Banken bei Sanierungen, übernimmt CRO-Mandate und gestaltet Insolvenzpläne
Als Redakteur bei der Unternehmeredition leitet Volker Haaß die Online-Aktivitäten sowie die Sonderpublikationen der Plattform. Dazu gehört unter anderem die FuS – Zeitschrift für Familienunternehmen und Strategie.