Das ESUG hat zu einem Paradigmenwechsel geführt. Unternehmer können mit einer Krise offener umgehen. Gleichermaßen werden Gläubiger zum Verzicht aufgefordert. Ein Streitgespräch zwischen dem Berater Robert Buchalik und dem Insolvenzverwalter Joachim Voigt-Salus über das Spannungsverhältnis zwischen unternehmerischer Freiheit und verbürgter Vermögensrechte.
Also ist die Regelinsolvenz die Ultima Ratio, wenn das Unternehmen nicht mehr zu retten ist?
Voigt-Salus: Mitnichten. Die Exit-Strategie des Insolvenzverwalters ist doch, dass ein Investor das Unternehmen als gesamte Einheit kauft. Aus Gläubigersicht ergeben sich daraus Vorteile: Der Käufer übernimmt das Grundstück, die Maschinen, die Umlaufmittel und bringt noch etwas Fresh Money mit. Der Insolvenzplan ermöglicht dagegen die Fortsetzung eines meist erschöpften Unternehmens. Jeder Cent wird eigentlich benötigt, um sich am Markt neu aufzustellen. Stattdessen werden die Überschüsse aber für die Gläubigerbefriedigung eingesetzt. Gleichwohl wird der tüchtige Verwalter ein Planverfahren wählen, wenn dies im Interesse aller Stakeholder ist. Abstrakt betrachtet halte ich aber einen substanziellen Kaufpreis, der an die Gläubiger bei einer übertragenden Sanierung geht, für die bessere Lösung.
Buchalik: Wenn der Exit im Regelverfahren der Verkauf und nicht der Plan ist, dann liegt das daran, dass 95 Prozent der Insolvenzverwalter noch nie einen Insolvenzplan erstellt haben. Ich würde auch nicht davon sprechen, dass der Insolvenzplan bei einem erschöpften Unternehmen Anwendung findet. Er dient vielmehr dazu, das Unternehmen neu aufzustellen. Von den 100 Unternehmen, die wir seit 2012 bis zur Aufhebung des Verfahrens betreut haben, sind heute noch ca. 90 am Markt. Dagegen bezweifle ich stark, dass ein neuer Investor wirklich immer genügend Geld ins Unternehmen steckt. Oft handelt es sich um Asset Deals, bei denen nur Teile des Unternehmens übernommen werden.
“Ich bezweifle stark, dass ein neuer Investor immer genügend Geld ins Unternehmen steckt.”
Robert Buchalik
Eine Variante der vorläufigen Insolvenz in Eigenverwaltung ist das Schutzschirmverfahren, das dem Unternehmer noch mehr Autonomie bei der proaktiven Sanierung gewähren soll. Vermutlich schlägt hier das Herz des Eigenverwalters höher, oder?
Voigt-Salus: Ich finde das Schutzschirmverfahren gut. Ich glaube, dass es das seriösere Eigenverwaltungsverfahren ist. Nur wird es leider noch zu selten angewendet. Meiner Meinung nach liegt das an einer Bescheinigung, die ein Experte über die drohende Zahlungsunfähigkeit im Vorfeld ausstellen muss. Der Unternehmer muss diesen Experten beauftragen. An der Bescheinigung hängt allerdings, ob das Gericht ein Schutzschirmverfahren zulassen darf. Ergo muss das Schutzschirmverfahren mit dem Vorurteil kämpfen, dass es vom Unternehmer gekauft wurde. Deshalb bin ich von vornherein für einen neutralen Gutachter.
Buchalik: In der Praxis ist das doch längst der Fall. Die Gerichte bestehen fast immer darauf, dass ein neutraler Gutachter eingesetzt wird. Heute kann der Unternehmer oder Berater nicht einfach einen Sachwalter aussuchen. Die Gerichte sind da in den vergangenen Jahren deutlich härter geworden. Und die Bescheinigung sagt lediglich aus, dass das Unternehmen nicht zahlungsunfähig ist. Das Schutzschirmverfahren ist insgesamt wesentlich aufwendiger als eine vorläufige Eigenverwaltung. Deswegen halte ich davon nichts. Es spielt in der Praxis auch kaum noch eine Rolle.