Im historischen Haupthaus des beschaulichen mittelalterlichen Hofs, in dem das Unternehmen Berentzen seit nunmehr 252 Jahren seinen Sitz hat, residierte einst Rolf von Langen. Der gefürchtete Raubritter war Burgherr des Burgmannshofes in Haselünne (Emsland), der im Jahr 1385 erbaut wurde. Mit modernem Raubrittertum vergleichen Konsumgüter-Experten auch den enormen Verdrängungswettbewerb auf dem Spirituosenmarkt. Ohne ein wirklich schlagkräftiges Management, das einschneidend ein verkrustetes Unternehmen zersägt und die guten Stücke wieder zu einem guten Ganzen zusammenfügt, brechen auch wirklich gute Marken zusammen. Um Überleben zu können, bedeutet es auch, marken- und produktionstechnisch auf dem neuesten Stand zu sein. Und so ist die Geschichte des Getränkeherstellers Berentzen eine, die zeigt, dass es manchmal eine Familie, die in sich zerstritten ist, nicht mehr aus eigener Kraft schafft, das zu bewahren, was Generationen vor ihr aufgebaut haben.
Goldene 70er-Jahre unter Friedrich und Hans Berentzen
Dabei waren die 70er-Jahre noch goldene in Haselünne, geprägt von innovativen Ideen aus der Besitzerfamilie Berentzen. Den Aufstieg der heute 252 Jahre alten niedersächsischen Kornbrennerei zu einem börsennotierten Getränkekonzern hat Friedrich Berentzen entscheidend geprägt. Friedrich starb vor eineinhalb Jahren. Mit seinem Bruder Hans übernahm er nach dem frühen Tod des Vaters im Jahr 1954 als 26-Jähriger die Leitung des traditionsreichen Familienunternehmens. Die beiden Brüder entwickelten 1976 den Berentzen Apfelkorn – einen Kassenschlager. Sie fusionierten das Unternehmen mit Pabst & Richarz, wurden zur Aktiengesellschaft und gaben dadurch große Macht in familienferne Hände. Weil die Umsätze alljährlich von Rekord zu Rekord jagten, waren dennoch alle Anteilseigner froh.
Keine 80er-Jahre-Jugend ohne Berentzen Apfelkorn
Wer seine Jugend in den 80er Jahren verbracht hat, ist an einer einschneidenden Erfahrung meist nicht vorbeigekommen: dem Genuss des Apfelkorns. Es war das Partygetränk des Jahrzehnts, der Wegbereiter dessen, was heute als Alcopops über die Theke geht. Doch Moden überleben sich. Deswegen war der Apfelkorn in den vergangenen Jahren praktisch in der Versenkung verschwunden. Abgelöst von Campari-Red-Bull oder Bacardi-Bionade, buntem Gesöff, mit dem die Party-Jugend vor der Disco “vorglüht” und das den ultimativen Nightlife-Kick verspricht. Berentzen rutschte immer tiefer in die roten Zahlen. Vorstandschef Jan B. Berentzen mühte sich vergeblich, mit exotischen Mischungen den Niedergang zu stoppen. Mitte 2006 setzte ihn der Aufsichtsrat vor die Tür.
Erster firmenfremder Manager reißt das Ruder nicht herum
Aber auch Nachfolger Axel Dahm, erster familienfremder Manager, riss das Steuer nicht herum. Apfelkorn, inzwischen in schicken Flaschen abgefüllt, sollte wieder eine Renaissance erleben. Dabei wollte Berentzen auf den Retro-Zug aufspringen, einen Trend, der zahlreiche absatzlahmen Gütern aus der Lebensmittel- Kosmetikindustrie wieder gute Umsätze brachte. 2008 sollte nach vielen verlustreichen Perioden eigentlich wieder das Jahr der Apfelkornlegende Berentzen werden. Die 250-Jahr-Feier stand ins Haus. Außerdem herrschte zumindest nach außen wieder Ruhe im Gesellschafterkreis, seit die Pabst-Richarz-Gruppe den glücklosen Vorstandsvorsitzenden Jan B. Berentzen abgesetzt und den Manager Dahm als Firmenchef durchgesetzt hatte. In seinem ersten Jahr an der Spitze des sechstgrößten deutschen Schnapsherstellers fuhr Dahm jedoch bei 186 Mio. EUR Umsatz 11,4 Mio. EUR Verlust ein.
Discounter machen Spirituosenbrenner abhängig
Wie sein Vorgänger löste Dahm ein drängendes Problem nicht: Die Abhängigkeit des Spirituosenherstellers von der Produktion billiger Eigenmarken für Aldi, Lidl & Co hat im Laufe der Jahre immer mehr zugenommen. 2007 setzte Berentzen rund 67,7 Mio. Flaschen “No-Names” ab, die der Hersteller im Auftrag von Discountern abfüllte – ein Viertel mehr als noch ein Jahr zuvor. Im Gegensatz dazu sank der Absatz der margenstarken Markenspirituosen wie etwa Berentzen-Apfelkorn um 5% auf 36,5 Mio. Flaschen.
Die Deutschen trinken immer weniger Schnaps
Hinzu kam, dass einheimische Hersteller von Hochprozentigem – bis auf Jägermeister – inzwischen genügend Probleme mit sich selbst haben, weil das heimische Geschäft immer mehr an Schwung verliert. Der deutsche Pro-Kopf-Verbrauch von Spirituosen kommt seit Jahren nicht über die 6-Liter-Marke hinaus. Der abermalige Verlust war der Moment, unter den der Gesellschafterkreis Pabst-Richarz einen Schlussstrich setzen wollte. “Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende”, sagten sich die Minderheitsgesellschafter, die sich aber in einem Poolvertrag mit anderen Anteilseignern 50% der Stimmrechte an der Gruppe gesichert hatten. Sie trafen zu Jahresbeginn erste Vorbereitungen zum Verkauf des Traditionsunternehmens – zunächst gegen den Willen des Berentzen-Clans, der am Familienbesitz festhalten wollte. 75,1% der Stammaktien gingen schließlich im Juli 2008 zu einem unbestätigten Schnäppchenpreis von rund 7 EUR pro Aktie (insgesamt etwa 27 Mio. EUR) an den Münchener Finanzinvestor Aurelius. Die 250-jährige Familienära bei Berentzen war beendet – und damit auch die jahrelangen Konflikte der Gesellschafter.
Manager Blaschak rettet die Arbeitsplätze
Als Nachfolger für Axel Dahm, der inzwischen den Mineralbrunnen Gerolsteiner erfolgreich leitet, setzte Aurelius den heute 41-jährigen Stefan Blaschak als Vorstandsvorsitzender in das Haselünner Unternehmen. Der gebürtige Gelsenkirchener arbeitete auf einer seiner letzten Stationen als Handelsvorstand beim Düsseldorfer Großbäcker Kamps. Dort nahm er 2005 nach nur einem Jahr seinen Hut. Blaschak stammt ursprünglich aus der Käsebranche: Bei Baars Deutschland, einem Ableger des niederländischen Wessanen-Konzerns, sorgte er seit 1999 für die Stabilisierung der Marke “Leerdamer”. Blaschak verordnete Berentzen ein knüppelhartes Sparprogramm. 142 Mitarbeiter von ehemals 629 mussten gehen; Blaschak rettete aber immerhin 487 den Arbeitsplatz. Die machen jetzt Profit. Der Getränkehersteller Berentzen hat es zurück in die Gewinnzone geschafft. Und anstelle von Spirituosen hat sich vor allem das margenträchtige Geschäft mit alkoholfreien Getränken gut entwickelt.
Seit vielen verlustreichen Jahren wieder ein Gewinn
Die Berentzen-Gruppe erwirtschaftete 2009 unterm Strich einen Gewinn von 3,8 Mio. EUR, wie aus dem Geschäftsbericht hervorgeht. Im Vorjahr hatte es noch einen Verlust von 22,5 Mio. EUR gegeben. Der Umsatz ohne Branntweinsteuer sank um 12,8% auf 173,7 Mio. EUR. Blaschak hatte die Spirituosenproduktion am Stammsitz in Haselünne eingestellt und ins westfälische Minden verlagert. Außerdem wurde die Verwaltung verschlankt und der Geschäftsbereich “Alkoholfreie Getränke” neu organisiert. Bei den alkoholfreien Getränken stieg der Umsatz von 50,2 auf 52,3 Mio. EUR. Bei den Spirituosen reduzierte sich der Umsatz ohne Branntweinsteuer um 18,5% auf 121,4 Mio. EUR.
Thomas Grether
redaktion@unternehmeredition.de
Kurzprofil: Berentzen-Gruppe AG
Gründungsjahr: 1758
Branche: Herstellung und Vertrieb von Spirituosen, Fruchtsäften und Wasser
Unternehmenssitz: Haselünne im Emsland
Mitarbeiter: 487
Umsatz 2009: 173,7 Mio. EUR
Internet: www.berentzen.de
Thomas Grether ist Gastautor.