„Bei einer Fusion kann ein grandioser Boost entstehen“

Interview mit Alexander Reichel, Geschäftsführer der Oakstreet GmbH, und Dietlind Weide, Managing Owner bei Telenario

Nachfolge und Nachhaltigkeit sind eng miteinander verbunden, da sie sich gegenseitig unterstützen können, so die Experten Reichel und Weide.
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Wie hängen die Themen Nachfolge und Nachhaltigkeit zusammen? Beide können sich gegenseitig voranbringen, finden der Nachfolgeexperte Alexander Reichel und die Nachhaltigkeitsexpertin Dietlind Weide. Wir sind der Frage im Gespräch auf den Grund gegangen. 

Unternehmeredition: Herr Reichel und Frau Weide, Nachfolge und Nachhaltigkeit − inwieweit hängen diese Themen für Sie zusammen?

Dietlind Weide: Wenn man sich die Praxis anschaut, dann spielt das Thema Nachhaltigkeit bei der Unternehmensübergabe häufig keine Rolle. In der weiteren Entwicklung zeigt sich dann aber, wie wichtig das Thema ist. Der Nachfolger oder die Nachfolgerin muss dann meist sehr schnell auf den fahrenden Zug aufspringen, stellt aber fest, dass im Unternehmen bis dato weder Prozesse noch Kompetenzen dafür aufgebaut worden sind. Und das ist dann eine sehr große Herausforderung. Es gibt aber auch andere Beispiele, wie zum Beispiel Antje von Dewitz von Vaude, die mit einer Nachhaltigkeitsmission bei ihrem Unternehmen angetreten ist und diese zum Markenkern gemacht hat. Aber das entspricht eher nicht dem Durchschnitt.

Alexander Reichel: Die Nachhaltigkeit ist für viele mittelständische Unternehmen kein neues Konzept, sondern eine Fortsetzung ihrer bewährten Geschäftspraktiken. Diese Unternehmen leben die Ziele der Agenda 2030 oft schon in ihrer alltäglichen Geschäftspolitik. Sie legen Wert auf korrektes, sauberes und ehrliches Handeln. Diese Prinzipien spiegeln sich nun auch in den detaillierten ESG- (Environmental, Social, and Governance) und Nachhaltigkeitszielen wider. Ein wichtiger, aber oft vernachlässigter Aspekt der Nachhaltigkeit: Wir müssen akzeptieren, dass einige Unternehmen aus guten Gründen nicht für die nächste Generation bestimmt sind und vom Markt verschwinden werden. Die tatsächliche Anzahl der Unternehmen mit einer zukunftsfähigen Perspektive wird dadurch deutlich geringer. Und darauf achten Nachfolger und Käufer immer stärker.

Welche Unternehmen sehen Sie davon besonders betroffen und warum?

Reichel: Wir raten einer Reihe von Unternehmen, auch über eine Stilllegung nachzudenken, weil das Geschäftsmodell nicht mehr tragfähig ist und die auch mittelfristig keine Nachfrage mehr haben werden. Oft wurde nicht früh genug damit begonnen, das Leistungsangebot neu zu definieren, das für den Markt einen Mehrwert hat.

Können Sie uns vielleicht mal ein Beispiel geben?

Reichel: Ein sehr prägendes Erlebnis war ein Familienbetrieb in Bayern. Da hatten die Inhaber ihre Ertragskraft nicht gesehen und nichts mehr in die Zukunft investiert. Es wurden alte Produkte weitergeführt, obwohl eigentlich nichts mehr da war, was an die nächste Generation hätte übergeben werden können. Das war schlimm für die Inhaber, weil das Unternehmen ihre Altersvorsorge abdecken sollte. Oder bestimmte Zulieferindustrien und Gewerke für Technologien, die es nicht oder bald nicht mehr geben wird. Zum Beispiel ein Metallverarbeiter, der komplett auf Verbrenner gesetzt hat und nun seit vielen Jahren nicht damit umgehen kann, dass es immer weniger Diesel geben wird. Irgendwann kommt der Kipppunkt, wo das einfach nicht mehr so weitergeht.

Sehen Sie das auch so, Frau Weidel?

Weide: Man sollte nie ein totes Pferd reiten. Bemerkenswert ist, dass Unternehmen auch aufgrund von Nachhaltigkeitsthemen in der gelben Zone sein können. Das kann beispielsweise daher rühren, dass das Verständnis für ein Risikomanagement, das sowohl finanzielle als auch Nachhaltigkeitsaspekte verbindet, nicht voll entwickelt ist.  Wird die systematische und konsequente Analyse von Risiken und Chancen eher als jährliche Angelegenheit für den Lagebericht betrachtet und spiegelt sich nicht intern in  Prozessen und im unternehmerischen Denken wider, kann dies dazu führen, dass Risiken zum Beispiel in den Lieferketten oder hinsichtlich der Wettbewerbssituation überhaupt nicht beleuchtet werden und man folglich auch keinen Änderungsbedarf sieht. Und das kann zu Schwierigkeiten führen.

Sie würden also empfehlen, bei einer Nachfolge dem Themenkomplex Nachhaltigkeit immer genügend Raum zu geben.

Reichel: Unternehmer sollten sich regelmäßig selbst fragen, welche Richtung sie mit ihrem Unternehmen in den nächsten fünf, zehn oder fünfzehn Jahren einschlagen möchten. Diese Überlegung ist besonders wichtig im Kontext einer Unternehmensnachfolge, da frühzeitig die Weichen für die Zukunft gestellt werden müssen. Nicht nur bei der Planung der Nachfolge, sondern vor allem auch bei der strategischen Ausrichtung des Unternehmens. Ein einseitiger Kundenstamm, der sich auf eine spezifische Branche konzentriert, kann ein großes Risiko darstellen. Zudem legen potenzielle Käufer oder Nachfolger heute immer größeren Wert auf Nachhaltigkeit. Sie interessieren sich auch dafür, wie ein Unternehmen mit seinen Mitarbeitenden umgeht und wie es Themen wie Lieferkettenmanagement, Umweltverträglichkeit und den Einsatz von Energiequellen handhabt.

Kommen wir mal zu den positiven Beispielen. Wie sind für Sie Unternehmen, die ideal für die Zukunft aufgestellt sind?

Weide: Eine Konstellation, die ich immer wieder positiv erlebe, ist eine familienfremde Geschäftsführung, bei der jedoch die Familienvertreter mit im Verwaltungsrat sitzen und wo sich gegebenenfalls  auch der Unternehmensgründer selbst noch nicht völlig zurück gezogen hat. Die Eigentümerfamilien haben eine wichtige Rolle. Ihre Wertvorstellungen, was sie sagen und denken, haben Bedeutung und Gewicht. Wenn der Eigentümer oder die Eigentümerin sagt, der erste Nachhaltigkeitsbericht meines Unternehmens interessiert mich, ich lese das Seite für Seite und gebe den Verantwortlichen ein persönliches Feedback, dann hat das einen sehr hohen Stellenwert und stärkt dem Nachhaltigkeitsteam den Rücken.

Die Geschäftsführung hingegen soll Umsätze generieren, den Gewinn steigern und ist oftmals nicht begeistert  von  neuen Auflagen, Berichtspflichten, Lieferkettensorgfaltspflichten, etc. . Das sind Dinge, die noch „on top“ dazu kommen und für die kurzfristig kein unmittelbarer betriebswirtschaftlicher Nutzen erkennbar ist. Die Eigentümerfamilie steht im Idealfall für bestimmte Werte ein bis hin zur Generation, die das Unternehmen weiterführen soll.  Eine Unternehmensstrategie, die beide Perspektiven integriert, kann sich sehr positiv auswirken.

Etwas schwieriger ist eine Konstellation, wenn der Zielkonflikt zwischen Ökonomie und Ökologie unter rein betriebswirtschaftlichen Aspekten gelöst werden soll, ohne dass übergeordnete Werte zum Tragen kommen. Das muss dann anders ausgestaltet werden.

Reichel: Ich glaube, es ist ein Mehrwert an sich, wenn das Thema Nachhaltigkeit im Betrieb ein Thema ist. Ein Team oder die Mitarbeiter wollen wissen, was für ein Geist im Unternehmen herrscht. Die wollen wissen, welche Schwerpunkte und Ziele gesetzt werden. Einen Status Quo zu erheben oder einen Nachhaltigkeitsbericht zu machen, bringt Themen in die interne Diskussion. Und das ist Gold wert. Schon damit ändert man das Denken und das Tun.

Weide: Family Offices können es je nach Größe  aktuell  mit den neuen Offenlegungs- und durchaus auch Lieferkettensorgfaltspflichten zu tun bekommen.  Wenn beispielsweise das  Vermögen in Immobilien, Finanzinvestitionen und Unternehmensbeteiligungen eingebracht wurde und nun die junge, nachfolgende Generation übernimmt: Es geht dann um Fragen, wie ökologisch nachhaltig das Immobilienportfolio ist, wie grün die Investments sind und wie verantwortungsbewusst die Unternehmensbeteiligungen. In dieser Diskussion ist man sofort bei der Frage nach Rendite Und auch in so einem Fall ist die Abwägung von Risiken und Chancen wichtig. Was hat es für Auswirkungen, wenn ich es tue, und was hat es für Auswirkungen, wenn ich alles so lasse, wie es ist.  Wenn Family Offices als große Kapitalgesellschaften offenlegungspflichtig werden, also eine Nachhaltigkeitserklärung im Lagebericht abgeben müssen, müssen sie zum Beispiel auch eine Klimastrategie vorlegen. Auch sie müssen angeben, was ihre vorgelagerten nachgelagerten Emissionen sind, und das setzt einiges in Bewegung.

Ab nächstem Jahr müssen alle Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern oder 40 Mio. EUR Umsatz für das jetzt laufende Geschäftsjahr gemäß CSRD veröffentlichen. Wie ist denn Ihre Einschätzung? Wie gut sind die Unternehmen, die diese neuen Richtlinien ab nächstem Jahr betreffen, darauf vorbereitet?

Weide: In vielen Fällen, vermute ich, gar nicht. Ich nehme an, dass immer noch  viele von den geschätzt 15.000 allein in Deutschland betroffenen privatwirtschaftlichen Unternehmen nicht wissen, dass sie der Verpflichtung zur Abgabe einer Nachhaltigkeitserklärung unterliegen.

Reichel: Für nahezu jeden Mittelständler, egal wie groß oder klein, ist die Finanzierung von Betriebsmitteln und Investitionen zu angemessenen Zinssätzen eine grundlegende Herausforderung. Nun haben die Banken die Nachhaltigkeit und ESG-Kriterien fest in ihre Bewertungsprozesse integriert. Unternehmen, die keine aktuelle Bestandsaufnahme ihrer Nachhaltigkeitsleistungen vorweisen können, werden oft in eine höhere Risikokategorie eingestuft und müssen mit schlechteren Konditionen rechnen. Diese Herausforderung verschärft sich bei der Unternehmensnachfolge, da einige Banken bestimmte Geschäftsmodelle oder -bereiche grundsätzlich ausschließen. Ebenso zögern manche Investoren, wenn sie nicht davon überzeugt sind, dass ein Geschäftsmodell in 15 bis 20 Jahren noch bestehen wird.

Wie geht man am besten vor, wenn man sein Unternehmen nachhaltig umstrukturieren möchte?

Weide:  Der Grundsatz lautet: Don’t panic. Es gibt immer Prozesse, auf denen sich aufbauen lässt. Der erste Schritt ist zu erkennen, dass bereits Know-how und Prozesse im Unternehmen vorhanden sind. Diese muss man ans Licht bringen und strukturieren und man muss sich auch an den Gedanken gewöhnen, dass ganz andere Menschen und Fachabteilungen miteinander sprechen müssen, als das bisher im Unternehmen üblich war. In Unternehmen, die der Berichtspflicht unterliegen, werden Finanz- und Nachhaltigkeitsberichterstattung  formal gleichgestellt sein. In diesem Fall sollten also der der Controller, die Zuständigen für Umweltschutz und Personal miteinander reden, um in der Lage zu sein, die Fakten offenzulegen, wie es das Gesetz fordert und die von Banken oder auch Versicherungen gefordert werden.

Wie muss ich denn personell aufgestellt sein? Braucht es neue Strukturen?

Weide: Personalaufbau ist auch Kostenaufbau. Ich rate immer dazu, die Kosten am Anfang so niedrig wie möglich zu halten und im mittelständischen Unternehmen einen Koordinator zu benennen. Dieser ESG-Koordinator sollte immer direkt an der Geschäftsführung hängen, nicht an einer Fachabteilung. Das ist erstmal wichtig, dass es einen Anlaufpunkt für die Geschäftsführung und die gesamte Belegschaft gibt, wo diese Informationen zentral geparkt werden können und wo man sich einen Überblick über die Lage verschaffen kann. Ausgehend davon lässt sich das weiter ausbauen.

Worauf muss man denn besonders achten, wenn man sich gerade in einer Nachfolgesituation befindet?

Reichel: Die Initialzündung für alle Maßnahmen sollte immer vom Unternehmer oder vom Gesellschafterkreis kommen. Der zweite Schritt ist es, die Mitarbeiter einzubeziehen. In der Belegschaft stecken meist sehr viel Know-how und Ideen. Und dann braucht es einen strukturierten und offenen Prozess. Auf Arbeitsebene muss zusätzlich jemand für die Koordination oder fürs Sammeln und Umsetzen verantwortlich sein. Der vierte Punkt ist: Kein Unternehmen ist eine Insel. Hakt euch unter, redet miteinander, schaut, was andere für Erfahrungen haben, bezieht das mit ein, bildet Cluster und teilt eure Erfahrungen! Dadurch entstehen eine Kraft und eine Dynamik. Das kriegt man als einzelnes Unternehmen nicht allein hin, egal wie viel Geld und Kapazität man dafür aufwendet.

Herr Reichel, bitte geben Sie uns zum Abschluss auch noch ein schönes Beispiel.

Reichel: Wir durften letztes Jahr den Verkaufsprozess eines Ingenieurdienstleisters begleiten, der ein Leistungsportfolio entwickelt hat, dass es so nach unserer Sicht im Markt nicht gab. Diesen Mehrwert hat ein sehr großer Konzern ebenfalls erkannt und sich bemüht, den Zuschlag zu bekommen. Jetzt nach dem Verkauf heben diese beiden Unternehmen gemeinsam dieses Know-how auf die nächste Stufe und bieten das erweiterte Portfolio weltweit an. Hier geht es um Prozessindustrie und Großanlagen. Dieses neue Setting hätte der kleine Mittelständler allein kaum erreichen können. Doch die verkaufenden Unternehmer zeigten hier die eine bemerkenswerte Weitsicht. Ihnen war klar, dass sie starke Partner brauchen, um ihre Kernleistung einem deutlich größeren Markt anzubieten.

Ihr Fazit ist also, dass es sich lohnt, Partnerschaften einzugehen und das Unternehmen zu verkaufen.

Reichel: Unternehmer sind selten Einzelgänger. Es braucht einzelne Persönlichkeiten als Triebfeder. Die meisten unserer Mandanten führen ihr Unternehmen daher selbst. Doch dabei beziehen sie neue Impulse von außen mit ein und bauen um sich herum eine Infrastruktur aus Ideen, Inspiration, Benchmarking und eben Partnerschaften. Bis hin zum Kauf, Verkauf oder einer Fusion. Und dann geht etwas vorab. Ich kenne keinen erfolgreichen Unternehmer, der in seinem stillen Kämmerchen sitzt.

Auch die Zusammenarbeit mit Start-ups ist ein wichtiges Thema. Diese kleinen, agilen und innovativen Unternehmen bringen keine Altlasten mit und können auf der grünen Wiese starten und Dinge einfach neu erfinden. Wenn man hier eine gemeinsame Kultur hinbekommt, kann ein grandioser Boost entstehen.

👉 Der Beitrag ist in der aktuellen Magazinausgabe der Unternehmeredition 1-2024 erschienen.


ZU DEN PERSONEN

Nachfolge und Nachhaltigkeit sind eng miteinander verbunden, da sie sich gegenseitig unterstützen können, so die Experten Reichel und Weide.
Foto: © Oakstreet

Alexander Reichel ist Geschäftsführer der Oakstreet GmbH. Mit seinem Münchner Team begleitet der Diplom Wirtschaftsjurist (FH) und Wirtschaftsmediator (IHK) Unternehmensverkäufe und Nachfolgelösungen von mittelständischen Unternehmen.

www.oakstreet.de

 

 

 

Nachfolge und Nachhaltigkeit sind eng miteinander verbunden, da sie sich gegenseitig unterstützen können, so die Experten Reichel und Weide.
Foto: © Telenario

Dietlind Weide, Managing Owner Telenario, ist seit über 20 Jahren als Sustainability Professional tätig; seit 2018 als Beraterin für Unternehmen, die den Wandel zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise für sich annehmen wollen.

www.telenario.de

Autorenprofil

Als Chefredakteurin der Unternehmeredition berichtet Eva Rathgeber regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Wirtschaftsjournalismus und in der PR.

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