„Asien ist weit mehr als China und Indien“

Die zehn ASEAN-Staaten sind dabei, eine bedeutende Region im Welthandel zu werden. Die enorm wachsende Mittelschicht und ein daraus resultierender Bedarf an Konsumgütern, Dienstleistungen, Produktionsanlagen und Infrastruktur bieten großes Potenzial für den deutschen Mittelstand. Im Interview spricht Dr. Axel Stepken, ASEAN-Sprecher der Deutschen Wirtschaft und TÜV-Süd-Chef, über Chancen im ASEAN-Raum, das geplante Freihandelsabkommen der EU sowie die Aktivitäten des TÜV Süd in der Region.

Unternehmeredition: Herr Dr. Stepken, wie bewerten Sie aktuell das Engagement der deutschen Wirtschaft, insbesondere des Mittelstandes, in den ASEAN-Staaten? Welches Potenzial bieten die kleineren Staaten?
Stepken: Der Verbund südostasiatischer Staaten ist auf dem Weg, eine besonders bedeutende Region im Welthandel zu werden. Die zehn ASEAN-Länder haben das Ziel formuliert, bis 2015 eine gemeinsame Freihandelszone zu errichten. Mit rund 600 Mio. Menschen ist der Staatenverbund als Ganzes betrachtet die neuntgrößte Volkswirtschaft der Welt und bietet aufgrund des Bevölkerungswachstums, steigender Einkommen und eines hohen Bedarfs beim Ausbau der Infrastruktur insbesondere für den deutschen Mittelstand große Chancen.

Unternehmeredition: Welchen ASEAN-Ländern sollten Mittelständler besonderes Augenmerk schenken?
Stepken: Für mittelständische Unternehmen sind ASEAN-Länder wie Indonesien, Thailand, Vietnam und Malaysia oder der Stadtstaat Singapur für den ersten Schritt nach Asien gut geeignet. Wir haben bei unseren Kunden aus dem Mittelstand oft die Erfahrung gemacht, dass es in den ASEAN-Ländern gut gelingen kann, in einem spezifischen Marktsegment schnell zu wachsen und ein etablierter Partner im lokalen Markt zu werden. Trotzdem sollte man die Herausforderungen nicht unterschätzen: Dazu gehören derzeit noch Defizite in der städtischen Infrastruktur oder behördliche Regelungen, die ausländischen Investoren wie einheimischen Unternehmen durchaus den Alltag erschweren. Strategisch wichtig ist, dass der ASEAN-Verbund zukünftig ohne Zollschranken mit China handeln wird – das macht ihn auch als Brückenkopf für das Reich der Mitte interessant. Schon heute haben China und die ASEAN-Staaten Zollfreiheit für fast 7.000 Produkte umgesetzt. Eine wichtige Entwicklung, denn nicht nur die deutschen Großunternehmen, auch der Mittelstand hat sich längst darauf eingestellt, dass Asien weit mehr ist als China und Indien.

Unternehmeredition: Die Euro-Krise, zunehmende Staatsverschuldung und Turbulenzen an den Finanzmärkten trüben die Aussichten für die Weltwirtschaft. Wie schätzen Sie die konjunkturelle Entwicklung in den ASEAN-Staaten 2012 ein?
Stepken: Angesichts der ökonomischen Friktionen in der EU und in den USA werden deutsche Unternehmen ihren Blick verstärkt auf neue Wachstumsregionen richten müssen – eine besonders viel versprechende, jedoch auch herausfordernde Region sind die ASEAN-Staaten. Mit einem Gesamtwachstum der ASEAN-Länder von 7,8% im Jahr 2010, einem prognostizierten Anstieg von 5,5% im laufenden Jahr und 5,7% 2012 bilden diese Länder eine der dynamischsten Regionen weltweit. Ein enormer Ausbau der Mittelschicht ist Garant für anhaltendes Wachstum. So werden alleine in Indonesien bereits 2014 150 Mio. Menschen der Mittelschicht angehören, nachdem es 2004 gerade einmal 1,6 Mio. waren. Die Konsumenten fragen nach hochwertigen Konsumgütern und Dienstleistungen – zum Beispiel nach guter medizinischer Versorgung. Gleichzeitig wächst der Bedarf an modernen Produktionsanlagen sowie an Infrastruktur und Logistikdienstleitungen.

Unternehmeredition: Welche Strategien verfolgen deutsche Unternehmen primär in den ASEAN-Staaten – kostengünstige Produktion oder Erschließung neuer Märkte?
Stepken: Ein gemeinsamer ASEAN-Binnenmarkt bietet enorme Chancen für die deutsche Wirtschaft – doch ist dies allein noch kein Garant für hohen Absatz. Diese Erfahrung haben deutsche Unternehmen auch im EU-Binnenmarkt gemacht. Die außerordentliche Vielfalt der ASEAN-Region mit Blick auf Religion, Sprache und Entwicklungsstand verlangt eine intensive Auseinandersetzung mit den lokalen Märkten. Ein „one size fits all“-Ansatz ist wenig Erfolg versprechend. Viele deutsche Unternehmen nutzen die landesspezifischen Standortvorteile einzelner ASEAN-Mitglieder und verknüpfen sie miteinander.

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