“Asien ist und bleibt ein zugkräftiger Motor der Weltwirtschaft”

Seit Juli 2010 steht Siemens-Chef Peter Löscher an der Spitze des Asien-Pazifik-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft (APA). Im Interview spricht er über den Stellenwert Asiens nach der Wirtschaftskrise, das Reizthema “China und Rohstoffe” sowie Förderinstrumente, die dem Mittelstand das Auslandsengagement erleichtern.

Unternehmeredition: Herr Löscher, wie hat sich aus Sicht der deutschen Unternehmen der Stellenwert Asiens nach der Finanz- und Wirtschaftskrise verändert?
Löscher: Asien war in der Krise ein zugkräftiger Motor der Weltwirtschaft und ist das bis heute geblieben. Für die deutsche Wirtschaft hat Asien damit erneut deutlich an Gewicht gewonnen. Vor allem die Wachstumsdynamik Chinas hat dazu beigetragen, dass Umsatzrückgänge deutscher Firmen in anderen Regionen zumindest teilweise aufgefangen worden sind. Die Exporte nach China beispielsweise haben im ersten Halbjahr um mehr als 50% zugelegt. Auch die Importe aus China sind kräftig angestiegen. Das Reich der Mitte ist im ersten Halbjahr dieses Jahres zum größten Lieferland Deutschlands vor den Niederlanden geworden, mit einem Anstieg der Einfuhren um über 35% auf fast 35 Mrd. EUR. Mit gut 90 Mrd. EUR im vergangenen Jahr entfielen auf den Handel mit China etwa 40% des außereuropäischen Handels der deutschen Wirtschaft. Aber nicht nur für die deutsche Wirtschaft steigt die Bedeutung der asiatischen Länder, sondern auch in der internationalen Politik. An einer gleichberechtigten Mitsprache wichtiger Schwellenländer etwa im internationalen Klimaschutz oder im UN-Sicherheitsrat führt heute kein Weg vorbei. Das jüngste Beispiel ist die neue Stimmrechtsverteilung im IWF. Partnerschaft auf Augenhöhe haben wir uns im APA deshalb schon seit geraumer Zeit zur Aufgabe gemacht.

Unternehmeredition: “China und Rohstoffe” ist derzeit eines der Reizthemen in der deutschen Industrie. Finden wir mit China noch einen gemeinsamen Nenner für internationale Regeln?
Löscher: Auf keinen Fall bringt es uns voran, wenn wir China wegen der Exportbegrenzungen von im Land geförderten Rohstoffen oder dem Engagement chinesischer Staatsfirmen bei der Rohstoffförderung in anderen Ländern anklagen. Die Knappheit von Rohstoffen, aber auch der Klimaschutz und die Urbanisierung zeigen uns doch, dass wir in allen Ländern vor denselben Herausforderungen stehen. Lösungen dafür – das ist meine feste Überzeugung – können wir nur im Verbund finden. Etwa indem sich die Staaten auf gemeinsame Ziele im Klimaschutz und im Rohstoffhandel verständigen. Oder indem Industrie und staatliche Institutionen in Asien und Europa ihre Forschungskooperation intensivieren, um knappe Rohstoffe bei der Produktherstellung intelligent ersetzen zu können. Meine Erfahrung mit chinesischen Partnern zeigt: Es zählt das Vertrauen, es zählt die langfristige Orientierung und natürlich müssen die Interessen beider Seiten zum Zuge kommen.

Unternehmeredition: Welche Branchen der deutschen Industrie bauen ihr Asien-Engagement derzeit aus?
Löscher:
Dazu gehören vor allem die Automobilindustrie, die Chemieindustrie und der Maschinen- und Anlagenbau. In vielen Ländern Asiens besteht ein riesiger Bedarf beim Ausbau nachhaltiger Infrastrukturen und dem Ausbau erneuerbarer Energien. Dabei richtet sich der Blick deutscher Unternehmen nicht nur nach China und Indien. Auch die ASEAN-Länder weisen nicht nur ein starkes wirtschaftliches Wachstum auf, sondern bieten aufgrund ihrer wachsenden kaufkräftigen Mittelschicht auch gute Absatzchancen, etwa in der Medizintechnik.

Unternehmeredition: Welches sind die gravierendsten Probleme für deutsche Firmen, die in Asien Geschäfte machen?
Löscher: Zunächst muss man sehen: Das große deutsche Engagement in Asien begründet sich insbesondere darin, dass die Märkte der Schwellenländer dort dynamisch wachsen und ein enormes Geschäftspotenzial bieten. Aber natürlich gilt es in der Zusammenarbeit noch einige Herausforderungen zu bewältigen – und zwar nicht nur für deutsche Firmen in Asien, sondern auch umgekehrt. Dazu gehört beispielsweise die Vereinfachung der Visa-Erteilung für asiatische Geschäftspartner, die nach Deutschland und in die EU einreisen wollen. In China ist der Weg hin zu weniger staatlichen Vorgaben, was den Technologietransfer anbelangt, den freien Zugang zu öffentlichen Aufträgen und die lückenlose Umsetzung des Schutzes geistigen Eigentums, richtig und wichtig. Bürokratie, ein rigides Arbeitsrecht und Infrastruktur-Defizite stellen im indischen Markt Herausforderungen dar. Der Marktzugang in Indien könnte durch den Abbau von Zöllen, die Angleichung von Normen und Standards und bei öffentlichen Aufträgen weiter verbessert werden. Mit dem Freihandelsabkommen der EU und Indiens werden wir hier sicher bald einen großen Schritt vorankommen.

Unternehmeredition: Mitte Mai fand die 12. Asien-Pazifik-Konferenz der Deutschen Wirtschaft in Singapur statt. Was hat diese Konferenz ausgezeichnet?
Löscher: Erstmals haben wir die Diskussionsrunden fast durchgängig mit asiatischen Entscheidungsträgern aus Politik und Wirtschaft besetzt. Die singapurische Regierung hat uns enorm dabei geholfen, acht Industrie- und Handelsminister aus den ASEAN-Ländern und ASEAN-Generalsekretär Surin Pitsuwan für die Konferenz zu gewinnen. Im Mittelpunkt der Diskussionen stand das Potenzial der Zusammenarbeit bei Innovation, Nachhaltigkeit, Urbanisierung und Ernährungssicherung. Es wurde sehr deutlich, dass die Region bereits viele eigene Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft entwickelt hat und sich als Partner anbietet, von dem wir lernen können. Mir ist einmal mehr deutlich geworden, dass wir in Deutschland noch viel mehr dafür tun müssen, über Innovation und Bildung unsere Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten.

Unternehmeredition: Viele Unternehmen aus dem Mittelstand sind in Asien präsent. Aber der Großteil der Firmen noch nicht. Brauchen wir neue Förderinstrumente?
Löscher: Die bestehenden Förderinstrumente sind gut, sie müssen nur noch besser bekannt gemacht werden. Aus dem Mittelstand höre ich immer wieder, dass besonders die Hermes-Exportkreditversicherung und das Auslandsmesseprogramm des Bundes gern genutzt werden. Bei der Information über Auslandsmärkte und der Beratung haben unsere Firmen mit Germany Trade and Invest und dem Netz der deutschen Auslandshandelskammern einen guten Zugang zu den Märkten dieser Welt. Das unternehmerische Risiko kann ihnen natürlich niemand abnehmen. Ich meine, dass die Chancen des Asien-Engagements die Risiken deutlich überwiegen. Das weltwirtschaftliche Gewicht wird sich weiter dorthin verschieben und viele neue Möglichkeiten für die deutsche Wirtschaft bieten. Solange wir wettbewerbsfähige und nachhaltige Lösungen anbieten und innovativ sind, wird Deutschland ein anerkannter Partner in Asien bleiben.

Unternehmeredition: Herr Löscher, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Markus Hofelich.
markus.hofelich@unternehmeredition.de


Zur Person: Peter Löscher
Peter Löscher ist seit 2007 Vorsitzender des Vorstands der Siemens AG und seit Juli 2010 Vorsitzender des Asien-Pazifik-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft (APA). Der APA ist als Gemeinschaftsinitiative von BDI, DIHK, OAV, BGA und Bankenverband das Sprachrohr der deutschen Asienwirtschaft gegenüber der Politik in Deutschland und in den asiatischen Partnerländern. www.asien-pazifik-ausschuss.de

Autorenprofil

Markus Hofelich ist Gastautor.

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