Seit 185 Jahren steht Roeckl für Handschuhmacherkunst und exzellente Lederverarbeitung. In den eigenen Manufakturen in Europa kreiert das Unternehmen mittlerweile nicht nur Handschuhe, sondern auch Ledertaschen und Accessoires. Wir sprachen mit der Geschäftsführerin Annette Roeckl, wie man ein Traditionsunternehmen durch Krisen und mit einer neuen, erweiterten Produktstrategie sicher in die Zukunft führt.
Unternehmeredition: Das Unternehmen Roeckl ist über 180 Jahre alt. Seit 2003 führen Sie den Accessoirezweig und Ihr Bruder den Sportzweig in sechster Generation. Wie kann ein Unternehmen so lange erfolgreich überdauern?
Annette Roeckl: Nur die wenigsten Unternehmen schaffen es überhaupt in die nächste Generation. Es bis in die sechste Generation zu tragen, ist tatsächlich eine herausragende Unternehmensleistung und unternehmerische Leistung der jeweiligen Generationen. Was bei Roeckl auffällt ist, dass es in jeder Unternehmergeneration existenzielle und substanzielle Krisen und Herausforderungen gab. In jeder Generation mussten das Gründergen und der Gründergeist neu aktiviert werden, um das Unternehmen aus der jeweils schwierigen Situation -herausführen zu können. Ein „so weiter wie schon immer“ war über 185 Jahre nicht möglich. Entscheidend war ein hohes Maß an Disziplin, Commitment und der Wille, das Unternehmen auch in die Zukunft zu führen. Natürlich gehört auch ein Quäntchen Glück dazu, zur richtigen Zeit die richtige Entscheidung zu treffen und gute Mitstreiter auf seinem Weg zu haben.
Mein Einstieg bei Roeckl erfolgte aus Überzeugung und Leidenschaft. Ich hatte einen Schlüsselmoment, in dem mir klar wurde, dass ich es sein möchte, die dieses Unternehmen in die Zukunft führt. Und ich erkannte, was Tradition eigentlich ausmacht, nämlich keine Verstaubtheit, sondern die stete Bereitschaft zur Veränderung und zum Wandel, weil nur dadurch Tradition und Beständigkeit entstehen können.
Auch das Produkt Handschuh habe ich für mich neu entdeckt. Das ist nämlich kein Old-Fashioned-Produkt, sondern ein ganz besonderes Produkt, weil es die Hand bekleidet. Die Hand ist nach den Augen der wichtigste oder stärkste Ausdruck eines Menschen. Mit der Hand handelt der Mensch und wird wirksam im Leben. Und wir machen ein Handkleid, das diese Hand schützt, aber mit dem sich der Mensch eben auch schmücken und seiner Individualität Ausdruck verleihen kann. Das waren für mich ein paar entscheidende Schlüsselthemen und -merkmale, die mich dazu bewogen haben, dieses Erbe mit großer Freude anzutreten.
2017 musste Roeckl Insolvenz beantragen. Was war passiert und wie sind Sie aus dieser Situation wieder herausgekommen?
Wir befinden uns in der Transformation vom Handschuhhersteller zur Accessoiremarke. Dadurch, dass Roeckl seit 185 Jahren für Handschuhe steht, ist das auch nach wie vor unser Hauptumsatzträger. Handschuhe funktionieren dann, wenn es kalt ist, nämlich in den Wintermonaten. In den Jahren 2013, 2014 und 2015 hatten wir in im Winter außerordentliche klimatische Einbrüche mit Temperaturen bis zu 24 Grad. In diesen Jahren ist uns sprichwörtlich das Geschäft durch die Finger geronnen. Der Absatz brach extrem ein. Dazu kam 2014 die geopolitische Krise mit Russland. Russland war damals unser größter Einzelmarkt und wir hatten dort 60% Umsatzeinbußen. Diese drei Jahre in Folge haben uns in außerordentlichem Maße geschwächt und viel Kapital gebunden. Wir waren an einem Wendepunkt, an dem wir nicht genau wussten, wie es da eigentlich überhaupt wieder rausgehen sollte.
In dieser schwierigen Notsituation haben wir uns Beratung gesucht und aufgrund drohender Zahlungsunfähigkeit Insolvenz angemeldet. Wir haben einen sehr stringenten Sanierungsplan entwickelt, mit dem wir Kapital aus der Familie einwerben konnten. Auf diese Weise konnten wir unsere Sanierung aus eigener Kraft dokumentieren und den Antrag auf Insolvenz nach sechs Wochen wieder zurücknehmen. Wir waren wieder ein souveränes und eigenständiges Familienunternehmen. Unter dem Strich mussten wir einige Filialen schließen und haben danach einige Jahre damit zugebracht, Kostenstrukturen abzubauen, bis wir das Tal durchschritten hatten. Das alles haben wir mit viel Konsequenz und Zielstrebigkeit durchgezogen und eine Stabilität aufgebaut, wodurch wir heute wieder solide dastehen.
2020 kam Corona und 2022 der Ukrainekrieg mit verheerenden Folgen wie Lieferkettenprobleme, Inflation und Energiekrise. Hat Sie diese Entwicklung zurückgeworfen?
Wie schon gesagt, 2013, 2014 und 2015 waren diese Winter, die für uns verheerende Folgen hatten. Da gab es keine multiplen Krisen, sondern ganz existenzielle Fundamentalkrisen. Das Unternehmen hat es mit vereinten Kräften und dem Commitment der Familie geschafft, sich da durchzubeißen. Das waren keine lustigen, geschweige denn einfachen Jahre. Sie haben uns allen, vor allem der Familie, aber auch jedem einzelnen Mitarbeiter hier, wirklich viel abverlangt. Es ging um Vertrauen, Zukunftsmut, Engagement, Einsatz und darum, nicht für den Erfolg, sondern für eine ungewisse Zukunft zu arbeiten. Aber wir haben es alle getan und in diesen schwierigen Jahren eine Standfestigkeit und einen Willen ausgeprägt, die wir heute sehr gut gebrauchen können. Dadurch haben wir bereits im Vorfeld Resilienz für die aktuellen Krisen ausgebildet. Wir haben in diesen Jahren auch Zusammenhalt ausgebildet und gelernt, was zwingend notwendig ist, um durch Krisen durchzukommen, und haben es mit eiserner Disziplin durchgezogen. Das heißt, wir haben die Entwicklungen, in denen heute viele Unternehmen stecken, im Grunde genommen vorweg erlebt, aber auch vorweg bestanden.
Wie waren Sie von Corona betroffen?
Als der erste Lockdown kam, wusste ja noch keiner, wie es weitergehen und ob es jemals staatliche Unterstützung geben würde. Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich zu Beginn in einer gewissen Fassungslosigkeit war und nicht wusste, wie es denn weitergehen soll. Wir mussten unsere Geschäfte schließen und die Mitarbeiter heimschicken, während die Kosten ohne Einkünfte weiterliefen. Dadurch haben wir unfassbare Umsatzausfälle und -einbußen gehabt. Gottseidank hat sich der Staat eingeklinkt, einmal mit der Möglichkeit der Kurzarbeit und dann mit Überbrückungshilfen. Und die mussten wir selbstverständlich in Anspruch nehmen. Wir haben zuerst alles ganz weit runtergefahren, jegliche Expansionsbestrebungen eingestellt und erst mal abgewartet, was eigentlich überhaupt passiert. Als es dann nicht aufhörte und zur neuen Realität wurde, haben wir hier in der Zentrale die Entscheidung getroffen, den E-Commerce mit unserem eigenen Onlineshop auszubauen und die Zeit, in der wir die Energie nicht nach draußen geben können, zu nutzen, um unsere internen Prozesse zu optimieren.
Sowohl den Ausbau des Online-Business als auch die Verbesserung der internen Strukturen haben wir konsequent durchgeführt. Wir haben einen neuen Onlineshop eröffnet, der während Corona sensationell gewachsen ist. Und alle Wholesale Partner, die noch verkaufen durften, haben wir intensiv aufgesucht. Als wir dann wieder öffnen durften, haben wir uns auf die neuen Gegebenheiten eingestellt, und unter anderem Masken hergestellt und verkauft, nachdem es am Anfang überhaupt keine gab. Besonders bitter war dann der zweite Lockdown in unserer Hauptgeschäftszeit mitten im Dezember. Aber auch den haben wir überstanden, mit einem sehr starken Onlinegeschäft und indem wir den Gürtel enger geschnallt haben.
Wie sieht es denn jetzt aus? Sind die Leute wieder in die Läden zurückgekommen? Wie wichtig ist mittlerweile der Onlineverkauf?
Es hat sich so halb austariert, aber ein verändertes Einkaufsverhalten ist geblieben. Wenn gerade Inflationsmeldungen oder andere Schockmeldungen wie die Entwicklung der Öl- und Gaspreise besonders intensiv durch die Presse gehen, können wir das am Kundenverhalten sehen. Manche Kunden halten sich dann lieber erst mal zurück. Bei anderen hat man den Eindruck, dass sie sich Qualitätsware kaufen, solange das Geld noch etwas wert ist. Wenn man also von normal sprechen möchte, dann ist es ein neues Normal, das ein bisschen verändert ist.
Corona war eine Zäsur. Das Onlinegeschäft ist danach erstmal zurückgegangen und die Menschen sind in den stationären Handel zurückgekehrt. Da war ein Hunger nach Rausgehen in die Stadt, nach Erlebnis, Begegnungen und Gesprächen, nach Beratung und menschlichem Kontakt, nach dem Berühren von Ware. Darin sind wir stark. Wir haben ausgezeichnete Verkäufer und Fachgeschäfte, in denen der Mensch individuell und persönlich beraten wird. Wir lieben unsere Kunden und sind gerne für sie da. Also das sind Dinge, die uns einfach helfen und wo wir unsere Stärke ausspielen können. Der Retail hat sich erfreulich gut erholt, obwohl es ja zunächst überhaupt keinen Tourismus gab. Wir sind überall in 1a-Lagen, wo der Tourismuskaufanteil vor Corona hoch war.
Insgesamt leidet der Onlinehandel in der ganzen Branche. Ich denke, dafür können wir uns relativ gut behaupten. Wir bereiten gerade den Relaunch unseres Onlineshops vor, um Usability und Technik für einen modernen Auftritt voranzutreiben. Im September werden wir damit an den Start gehen, um im E-Commerce-Feld weiter wachsen und auch internationalisieren zu können, da wir viele Anfragen aus dem Ausland erhalten.
Wie ist denn aktuell das Verhältnis von online und stationär?
Es gibt bei uns drei Verkaufskanäle: Das B2B-Geschäft, den eigenen stationären Einzelhandel und das B2C-Onlinegeschäft. Wenn man sich nur das Endverbrauchergeschäft anschaut, macht der Onlineshop ungefähr ein Drittel und die Filialen machen zwei Drittel aus. Von unserem Gesamtumsatz – entfallen ungefähr 10% auf den Onlineshop.
Insgesamt sind wir sehr zufrieden mit der Umsatzentwicklung. Im letzten Jahr haben wir uns im Vergleich zum Vorjahr um 16% gesteigert und das ist in dieser Zeit denke ich eine herausragende Leistung.
Von den derzeitigen Verwerfungen sind sie also nicht übermäßig stark betroffen.
Wir sind betroffen wie jeder andere auch. Ganz klar, wir können uns dem ja nicht entziehen, aber es gelingt uns, einen guten Kurs zu fahren. In Zeiten extremer Verunsicherung, Unsicherheit, Unbeständigkeit und Uneinschätzbarkeit der Lage registrieren viele Menschen und Händler, wie wertvoll es ist, wenn man Partner hat, die beständig, zuverlässig und nachhaltig sind, die Qualität anbieten und das halten, was sie versprechen. Und dafür steht Roeckl seit über 180 Jahren.
Jetzt würde ich gerne noch auf das internationale Schachbrett mit ihnen schauen und nachfragen, wo ihre Märkte sind.
Wir sind traditionell stark im deutschsprachigen Raum. Deutschland, Österreich und die Schweiz sind unsere stärksten Märkte. Da haben wir unsere eigenen Flagship-Stores und unsere Kern- und Stammkundschaft. Als Corona kam, haben wir sämtliche Expansionsbestrebungen erst einmal eingestellt und in dieser „Hold“-Situation befinden wir uns immer noch. 2021 gab es neue Überlegungen, stärker in den Export zugehen. Wir sind dann aber zu der Überzeugung gelangt, dass es noch nicht an der Zeit ist und dass sich das Unternehmen angesichts der unsicheren Rahmenbedingungen erst noch weiter stabilisieren und sich auf das Potential der Kernmärkte konzentrieren sollte.
Wenn nicht jetzt, haben Sie Internationalisierungsfernziele?
Wir haben im letzten Jahr die Schweiz weiter gestärkt mit einem eigenen Showroom und Vertrieb. Dieses Jahr gilt klar die Devise, nicht über Märkte, sondern über Produktlinien zu expandieren. Wir wollen mit unseren Taschen und Tüchern genauso zum Strahlen und zur Stärke kommen, wie wir das beim Handschuh schon tun. Wir haben in Deutschland, in Österreich und in der Schweiz zufriedene Kunden. Wir verfügen über Markenbekanntheit, und unser vordringliches Ziel ist im Moment die weitere Durchdringung des Marktes mit unseren aktuellen Produktgruppen. Das ist das Ziel Nummer eins.
Ich glaube daran, dass sich die Welt und auch der Welthandel wieder mehr öffnen werden. Und mittelfristig gesehen: Klar wollen wir wachsen und raus in die Welt. Wir haben-kleine Ansätze in Norwegen, kleine Ansätze in Kanada, auch Asien finde ich nach wie vor eine hochinteressante Destination. Aber das sind Bereiche, die wir uns momentan schlicht und einfach erst mal anschauen.
Wo produzieren Sie denn überall?
Wir haben eigene Produktionsstätten in Rumänien für Taschen und für Handschuhe. Ansonsten arbeiten wir mit langjährigen Produktionspartnern zusammen, sowohl in Asien als auch in Europa. Tücher, Strick und Hut kommen aus Italien. Ein besonderer Typ von Handschuhen kommt auch noch aus Portugal. Ansonsten haben wir für Handschuhe neben unseren eigenen Manufakturen einen langjährigen Partner in Indien. Wir arbeiten mit exzellenten Betrieben in China für Seide und Kaschmir zusammen. Roeckl hat sich immer da Partner gesucht, wo der Rohstoff herkommt und wo kompetente Partner ansässig sind. Unser Geschäft war immer schon ein globales Geschäft. Lederhandel ist ein internationales Business. Das feinste Handschuhleder kommt aus Äthiopien. Globaler Handel ist für uns nichts Neues. Auch sind wir gewohnt, dass sich einfach immer mal etwas verändert. Oder dass man mal auf eine Pausetaste drücken muss, um dann wieder loszulegen, sowohl im Einkauf als auch im Verkauf.
Mussten Sie ihre Beschaffungsstrategie aufgrund der außenpolitischen Lage anpassen?
Wir sind froh, dass wir unsere eigenen Produktionen in Europa und langjährige, gute Lieferantenbeziehungen zu unseren Produktionspartnern haben. Das sind zwei Garanten dafür, dass wir auch in unsicheren Zeiten erstklassige Qualität liefern und unsere Termine halten können.
Welche Rolle spielt für Sie das aktuelle Trendthema Nachhaltigkeit?
Klar, das ist ein Trend, der uns ganz genauso betrifft, der uns aber auch sehr entgegenkommt. Wir sind ein Familienunternehmen seit 185 Jahren. Wir arbeiten mit Naturmaterialien und haben von Menschen gemachte Produkte. Bei uns gibt es keinen hohen Industrialisierungsgrad, der natürlich auch wiederum auf die Umwelt einwirkt. Die allerwichtigste Prämisse für Nachhaltigkeit ist Langlebigkeit. Die Produkte, die wir fertigen, sind von herausragender Qualität. Das Leder, das wir verarbeiten, ist in erster Linie ein Zweitverwertungsprodukt. Das Erstverwertungsprodukt ist das Fleisch, da es der Ernährung dient. Das heißt, hier werden keine Tiere geschlachtet um des Leders willen. Und es ist nachhaltig, die Haut dann auch zu verwerten. Wolle, Kaschmir und Seide sind nachwachsende Rohstoffe in der Natur, die wir von langjährigen Partnern beziehen. Unser Seidentuch schaut nach zehn Jahren so schön aus wie am ersten Tag. Seide ist ein reines Naturprodukt. Das heißt, wenn man es irgendwann wegwirft, dann wird es verrotten. Wie oft haben mir schon Menschen erzählt, dass sie jetzt die Handschuhe ihrer Oma tragen. Also wir haben Produkte, die über Generationen hinweg halten und die schön und langlebig sind. Wir haben keine billigen Wegwerfprodukte. Je weniger weggeworfen wird, desto weniger ist unsere Umwelt damit belastet und die Menschen wissen unsere Qualität zu schätzen. Es ist besser, weniger zu kaufen, aber dafür gute Stücke. Wenn das jeder beherzigen würde, würde das einen großen Beitrag zur Nachhaltigkeit in dieser Welt leisten.
Ledergerbung gilt als nicht sehr umweltfreundliches Verfahren.
er Mensch nutzt Leder seit Jahrtausenden. Und in Deutschland gelten strengste Umweltauflagen. Deutschland ist ein Technologieentwicklungsland. Das heißt hier wurden herausragende Wasserwiederaufbereitungungsmethoden für Gerbereien entwickelt, die dann auch in die Welt exportiert worden sind. Wir arbeiten mit zertifizierten Gerbern und mit Produktionen zusammen, die exzellente Qualität leisten. Die kennen wir alle persönlich und besuchen sie regelmäßig, so dass wir genau wissen, wo unsere Sachen herkommen und wie sie produziert werden: Mit anständigen Löhnen, Arbeitsbedingungen und Respekt vor der Natur.
Wie reagieren Sie auf Billigkonkurrenz?
Mit Billigkonkurrenz sind wir seit Jahrzehnten konfrontiert. Das eine ist die Billigkonkurrenz, das andere die Produktschwemme. Früher, also noch vor 20 oder 25 Jahren, war der Welthandel wesentlich reglementierter. Da gab es in China staatliche Exportagenturen. Der Handel war erschwert, es gab Sprach- und Kommunikationsbarrieren und auch die Lieferwege waren nicht so ausgebaut wie heute. Das heißt, es kam einfach wesentlich weniger Ware in den Markt.
Heute kann jeder irgendwo einen Container Billigware kaufen, einführen und den Markt damit schwemmen. Die Billignachfrage gibt es und sie wird auch geschürt. Und natürlich merken wir das auch. Es gibt Handschuhe an jeder Ecke, ob das bei einem Lidl, Aldi oder bei einem Zara oder einem H&M ist. Zwar ist es heute leichter, sich ein so kompliziertes Produkt wie einen Handschuh zu beschaffen, aber die Qualität ist trotzdem eine andere. Wir sind nicht Preisführer und werden preislich immer wieder auch von unten angegriffen. Aber damit muss man leben. Wir sind schließlich Qualitätsführer.
Gibt es jemanden, der sie oben angreifen kann?
Auch die Luxusmarken machen Handschuhe und bieten diese an – genau wie Premiumanbieter, beispielsweise im Fashionbereich. Von der Qualität sind wir nicht angegriffen, aber von den Marken und deren Bekanntheit. In der Kompetenz des Sortiments reicht uns im Moment keiner das Wasser. Bei Seidentüchern zum Beispiel haben wir ein herausragendes Preis-Leistungsverhältnis. Und ähnlich verhält es sich bei den Taschen, wo wir noch im Aufbau sind, doch bereits sehr positives Wachstum verzeichnen.
Wir haben keine Budgets für großangelegte Marketing- und Werbekampagnen. Wir leben von zufriedenen Kunden, die es weitersagen und die begeistert sind von unserer Qualität und einen Zusatzkauf tätigen. Und wir leben von Neukunden, die wir über unsere Boutiquen gewinnen, da sie dort ein Universum an wunderschönen Accessoires entdecken.
Bitte werfen Sie mit uns noch einen Blick in die Zukunft. Wo wird das Unternehmen in 20 bis 30 Jahren stehen?
Es ist schwer vorherzusagen, wie die Welt in 20 oder 30 Jahren aussehen wird. Die Welt ist derzeit sehr im Umbruch. Aber solange es Menschen gibt, werden sich diese bekleiden. Und sie werden sich schützen und schmücken wollen und dabei Qualität und Hochwertigkeit suchen und sich selbst und ihre Lieben mit etwas Besonderem verwöhnen wollen.
So viel kann ich sagen: Das Unternehmen wird weiter wachsen. Es wird in seinen Accessoire-Sortimenten erstarken. Es wird eine Accessoiremarke sein, wo der Handschuh, die Tasche und die Tücher ihren jeweiligen Stellenwert einnehmen. Wir werden ausgewogen sein und dem Kunden zu jeder Jahreszeit Freude machen können. Roeckl wird seiner Qualität und seiner Handwerkskunst treu sein. Bei Roeckl wird der Mensch nach wie vor im Zentrum stehen. Die Dinge werden auch in Zukunft von Menschen gemacht sein, und dadurch ihre besondere Produktqualität haben. Und das wird uns unterscheiden.
ZUR PERSON
Annette Roeckl leitet in sechster Generation die Firma Roeckl Handschuhe und Accessoires. Sie führt das 1839 gegründete Unternehmen seit 2003 als erste Frau an der Spitze. Vor der Übernahme der Geschäftsleitung absolvierte sie eine Ausbildung zur Handelsfachwirtin im Betrieb.
www.roeckl.com
KURZPROFIL
Roeckl Handschuhe & Accessoires GmbH & Co. KG
Leitung: Annette Roeckl
Gründungsjahr: 1839
Unternehmenssitz: München
Branche: Lederwaren und Accessoires
Mitarbeiterzahl: 240
www.roeckl.com
ZUR UNTERNEHMENSGESCHICHTE
Zwischen Tradition und Innovation − die wichtigsten Etappen der Unternehmenshistorie von Roeckl
Bei der Unternehmensgründung 1839 ging es Jakob Roeckl darum, für das Königreich Bayern erstklassige Handschuhe aus bayerischer Fertigung herzustellen. Bis dahin war der Handschuhmarkt von französischen Handschuhen dominiert gewesen. Roeckl entwickelte ein Patent für die Gerbung von sehr feinem Leder und kämpfte fünf Jahre für eine Fabrikgenehmigung. Dabei legte er Hartnäckigkeit, Zielstrebigkeit, aber auch Innovationskraft an den Tag.
Der Übergang von der ersten zur zweiten Generation markiert eine Zeitenwende vom Biedermeierbürgertum hin zur Industrialisierung. Die Stadt wuchs und es kamen völlig andere gesellschaftliche Themen auf. In der zweiten Generation kam Christian Roeckl und vergrößerte das Unternehmen mit großer unternehmerischer Weitsicht und Mut. Er übernahm es mit ungefähr 70 Mitarbeitern und baute ein Fabrikgebäude für bis zu 1.000 Mitarbeiter. Auch vollzog er den Weg in die Industrialisierung und begann schon 1870 damit, den Export nach Amerika auszubauen.
Anfang 1900, in der dritten Generation, war Roeckl das zweitgrößte Unternehmen in München nach KraussMaffei mit seinen 1.000 Mitarbeitern und mit dem internationalen Export. Damals wurden große Mengen Handschuhe nach Nord- und Südamerika geliefert. Dann kamen der Erste Weltkrieg, die Weltwirtschaftskrise und der Zweite Weltkrieg. All diese verheerenden Zeiten hat Heinrich Anton Roeckl durchgestanden. Das Unternehmen verlor im Zweiten Weltkrieg sehr viel; nahezu alle Filialen wurden zerbombt, am Ende gab es nur noch eine einzige. Der Nachfolger Heinrich Franz Roeckl errichtete dann nach 1945 mit eiserner Disziplin und eisernem Willen ein neues Filialnetz und baute die Produktion wieder auf.
Ende der 1960er-Jahre übernahm Stefan Roeckl. Das war die Zeit der 1968er-Revolution, als Konventionen in den Wind geschlagen wurden und eine neue Generation von Menschen nicht mehr akzeptieren wollte, sich in Stände oder Klassen stecken zu lassen, und dagegen aufbegehrte. Der Handschuh war stets Ausdruck einer gehobenen Gesellschaft und des feinen Seins gewesen. Bis in die 1960er hinein ging eine Dame nicht ohne Handschuhe aus dem Haus, unabhängig der Jahreszeit; es schickte sich einfach nicht. Doch so, wie viele Konventionen in dieser Zeit aufgebrochen wurden, gab es auch die Bekleidungskonventionen nicht mehr. Das war für einen Handschuhhersteller erst einmal ein Desaster. Stefan Roeckl verstand und interpretierte den Zeitgeist Anfang der 1970er-Jahre richtig. Die Freizeitaktivitäten hatten zugenommen und für die Menschen wurde Sport rasch sehr wichtig. Er erfand deshalb die Sporthandschuhe, indem er sehr innovativ an der Schnittführung arbeitete, die auf der Innenhand keine Nähte hatte und somit auch keine Druckstellen oder Blasen verursachte. Bei allen Sportarten, bei denen man etwas in der Hand hält – ob Reiterzügel, Fahrradlenker oder Skistöcke –, setzten sich die Sporthandschuhe von Roeckl durch. Und Stefan Roeckl erkannte auch, dass in den Filialen der Handschuh allein nicht funktionierte, und nahm deshalb andere Accessoiresortimente und Marken mit dazu. 2003 übergab er an zwei seiner Kinder, Annette und Stefan Roeckl Jr. Damit ging die Aufspaltung in zwei eigenständige, unabhängige Unternehmen einher – mit den Bereichen Sporthandschuhe sowie Handschuhe & Accessoires.
Diese Unternehmensaufspaltung markierte abermals den Beginn einer neuen Ära. Auf der einen Seite übernahmen die Kinder die beiden Sparten eines Traditionsunternehmens, auf der anderen Seite mussten die Geschäftsmodelle neu entwickelt und erdacht werden – es ging also quasi um Start-ups. Annette Roeckl entwickelte dann das Geschäftsmodell hin vom Handschuhspezialisten zur Accessoiremarke mit einer zunehmenden Spezialisierung auf hochwertigen Seidentüchern, Taschen und Lederwaren, während ihr Bruder das Geschäft mit den Sporthandschuhen vorantrieb.
Dieser Beitrag ist in der Unternehmeredition-Magazinausgabe 2/2023 mit Schwerpunkt “Unternehmensfinanzierung” erschienen.
Als Chefredakteurin der Unternehmeredition berichtet Eva Rathgeber regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Wirtschaftsjournalismus und in der PR.