Anleihen restrukturieren und dadurch Insolvenz vermeiden

Wesentliche Aspekte bei der Restrukturierung von Unternehmensanleihen gemäß SchVG und StaRUG

Foto: © chayantorn_AdobeStock

Aus unterschiedlichen Gründen kann sich abzeichnen, dass eine Rückzahlung oder Refinanzierung einer Unternehmensanleihe Schwierigkeiten bereitet. Dies ist im derzeitigen schwächeren Marktumfeld immer häufiger zu sehen. In besonderem Maße befinden sich mit Anleihen finanzierte Immobiliengesellschaften in dieser Situation. Bei diesen kommt hinzu, dass in der gegenwärtigen Krise der Immobilienwirtschaft zum Teil erhebliche Bewertungsabschläge für Immobilienprojekte oder Bestandsimmobilien hinzunehmen sind. 

Befindet sich ein Unternehmen in einer Krisensituation, muss das nicht immer eine Insolvenz bedeuten. Eine naheliegende Möglichkeit ist zunächst, die Anleihe zu restrukturieren. Hierbei kommt insbesondere eine Anleiherestrukturierung nach den Regelungen des Schuldverschreibungsgesetzes (SchVG) und des Gesetzes über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) in Betracht.

Sowohl die Regelungen des SchVG als auch diejenigen des StaRUG bieten die Möglichkeit, außerhalb einer Insolvenz durch Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger die Laufzeit der Anleihen zu verlängern, Zinsen anzupassen, Schuldverschreibungen in Geschäftsanteile umzuwandeln (Debt Equity Swap) und weitere Änderungen der Anleihebedingungen vorzunehmen. Das konkrete Restrukturierungsmodell und seine Umsetzung hängen von vielen Faktoren ab, insbesondere von der wirtschaftlichen und finanziellen Situation des Unternehmens und der Gläubigerstruktur. Dabei ist die Anleiherestrukturierung zumeist auch nur ein Baustein einer umfassenden operativen und finanziellen Restrukturierung des Unternehmens. Die Anleiherestrukturierung hat sich in das Gesamtrestrukturierungskonzept einzufügen.

Nachfolgend sind einige wesentliche Aspekte dargestellt, die bei einer Planung und Durchführung einer Anleiherestrukturierung nach den Regelungen des SchVG und des StaRUG zu beachten sind.

Voraussetzungen für eine Restrukturierung nach SchVG und StaRUG

Die Änderung der Anleihebedingungen durch Mehrheitsbeschluss der Anleihegläubiger nach den Regelungen des SchVG (§ 5 I 1 SchVG) ist nur dann möglich, wenn dies die Anleihebedingungen ausdrücklich vorsehen. Sehen die Anleihebedingungen hingegen eine Änderung der Anleihebedingungen nicht vor, können Restrukturierungsmaßnahmen für die Anleihe nur durch einen gleichlautenden Vertrag zwischen dem Emittenten und sämtlichen Anleihegläubigern vorgenommen werden (§ 4 SchVG). Hierfür ist dann die Zustimmung aller Anleihegläubiger einer Anleihe erforderlich, was nur in ganz speziellen Ausnahmesituationen gelingen wird.

Ist der Emittent drohend zahlungsunfähig, nicht aber insolvenzrechtlich überschuldet und/oder zahlungsunfähig, kommt eine Änderung der Anleihebedingungen mit den Instrumenten des StaRUG in Betracht. Im Gegensatz zu den Maßnahmen der §§ 5 ff. SchVG gelten die StaRUG-Regelungen auch, wenn deren Anwendung nicht explizit in den Anleihebedingungen vorgesehen ist.

Erforderliche Mehrheiten

Wesentliche Änderungen der Anleihebedingungen nach den Regelungen des SchVG bedürfen (i) eines Beschlussfähigkeits¬quorums und (ii) einer qualifizierten Mehrheit von mindestens 75% der teilnehmenden Stimmrechte. Eine erste Anleihegläubigerversammlung ist gemäß § 15 III 1 SchVG nur beschlussfähig, wenn dort wertmäßig mindestens die Hälfte der ausgegebenen Schuldverschreibungen vertreten ist. Für eine zweite Anleihegläubigerversammlung, die einberufen werden kann, wenn in der ersten Anleihegläubigerversammlung das 50%-Quorum verfehlt wurde, gilt ein reduziertes Beschlussfähigkeitsquorum von 25% der ausstehenden Schuldverschreibungen.
Nach den Regelungen des StaRUG ist für die Beschlussfassung über den Restrukturierungsplan grundsätzlich eine Mehrheit von 75% des Nennbetrags der Forderungen der jeweiligen Gruppe erforderlich (vergleiche § 25 I StaRUG).

Gemeinsamer Vertreter für alle Anleihegläubiger

Die Anleihegläubiger können zudem gemäß §§ 5 I 1, 7 I SchVG zur Wahrnehmung ihrer Rechte einen gemeinsamen Vertreter bestellen. Die Bestellung erfolgt mit der einfachen Stimmenmehrheit der an der Abstimmung teilnehmenden Stimmrechte. Gemäß § 7 II SchVG hat der bestellte gemeinsame Vertreter die Aufgaben und Befugnisse, welche ihm durch Gesetz oder durch einen Mehrheitsbeschluss der Gläubiger eingeräumt wurden. Werden dem gemeinsamen Vertreter durch einen Beschluss der Anleihegläubiger die Befugnisse eingeräumt, für die Anleihegläubiger wesentlichen Änderungen der Anleihebedingungen zuzustimmen, gelten hierfür auch die oben beschriebenen Quoren und Mehrheiten.

Im StaRUG-Verfahren ist ein gemeinsamer Vertreter allein berechtigt und verpflichtet, die Rechte der Anleihegläubiger im StaRUG-Verfahren geltend zu machen (§ 19 VI in Verbindung mit III SchVG). Die Anleihegläubiger sind insoweit von der eigenen Wahrnehmung ihrer Rechte ausgeschlossen. Ist ein gemeinsamer Vertreter bereits in den Anleihebedingungen bestellt, so erstarkt dieser automatisch zum sogenannten starken gemeinsamen Vertreter mit den Rechten des § 19 III SchVG. Ist noch kein gemeinsamer Vertreter bestellt, kann dieser entweder im Vorfeld der StaRUG-Restrukturierung nach den Regelungen des SchVG oder, nachdem eine Restrukturierungsanzeige gemacht wurde, nach den Regelungen des StaRUG bestellt werden.

Für die Wahl eines gemeinsamen Vertreters nach den Regelungen des StaRUG hat das Restrukturierungsgericht eine Gläubigerversammlung einzuberufen. Nach einhelliger Auffassung gelten für die Einberufung der Anleihegläubigerversammlung die Vorschriften des SchVG.

Nicht abschließend geklärt ist allerdings, nach welchen Regelungen eine Anleihegläubigerversammlung im StaRUG-Verfahren abgehalten und mit welchen Mehrheiten dort der gemeinsame Vertreter gewählt wird. In Betracht kommt hierfür die entsprechende Anwendung der folgenden Regelungen:

(i) Nach den Regelungen des StaRUG wäre kein Quorum erforderlich, aber eine Mehrheit von 75% der Stimmrechte der jeweiligen Gruppe;

(ii) nach den Regelungen des SchVG wäre entweder eine einfache Mehrheit oder eine Dreiviertelmehrheit mit oder ohne Quorum von 50% des Nennbetrags der ausstehenden Schuldverschreibungen erforderlich; oder

(iii) nach den Regelungen der InsO wäre gemäß § 76 InsO lediglich die einfache Mehrheit der anwesenden Stimmrechte ohne ein Quorum erforderlich.

Gegen die Anwendung der StaRUG-Mehrheiten spricht, dass das StaRUG in §§ 24 f. lediglich die Mehrheiten bei der Abstimmung über den Restrukturierungsplan regelt. Ein Wahlrecht für eine Person ist im StaRUG nicht vorgesehen. Jedenfalls bei Publikumsanleihen ist nahezu ausgeschlossen, dass eine Mehrheit von 75% des Nennwerts der ausstehenden Schuldverschreibungen erreicht werden kann. Somit wäre zum einen die Regelung in den §§ 19 VI in Verbindung mit II SchVG über die Wahl eines gemeinsamen Vertreters nach der StaRUG-Anzeige weitgehend sinnentleert. Zudem widerspräche diese Auslegung dem im StaRUG verankerten Gedanken des effet utile, wonach das StaRUG der Schuldnerin gerade wirksame Restrukturierungsmöglichkeiten eröffnen möchte.

Grundsätzlich ist auch denkbar, dass die Mehrheitserfordernisse nach dem SchVG für die Wahl des gemeinsamen Vertreters Anwendung finden. Dafür spricht der in § 19 II 1 SchVG verwendete Begriff des „Mehrheitsbeschlusses“, der auch bei den Mehrheitserfordernissen der § 5 II bis V SchVG verwendet wird. Allerdings erscheint es unseres Erachtens nicht angebracht, die Mehrheitserfordernisse nach dem SchVG anzuwenden, wenn eine Bestellung eines gemeinsamen Vertreters in den Anleihebedingungen überhaupt nicht vorgesehen ist.

Insgesamt erscheint es angemessener, die Regelung des § 76 II InsO anzuwenden. Aus unserer Sicht spricht auch für eine Anwendung der insolvenzrechtlichen Mehrheiten für die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters, dass der BGH im Falle einer Insolvenzeröffnung die insolvenzrechtlichen Regelungen für anwendbar erklärt hat (BGH, Urteil vom 16. November 2017 – IX ZR 260/15). Demzufolge erscheint es gesetzestechnisch konsequent, auch den Verweis von § 19 VI SchVG auf § 19 I SchVG entsprechend der BGH-Rechtsprechung als einen Verweis in die InsO zu verstehen. Ferner erscheint es auch nur schwer begründbar, für den Fall, dass die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters in den Anleihebedingungen vorgesehen ist, die schuldverschreibungsrechtlichen Mehrheitserfordernisse anzuwenden, und wenn dies nicht vorgesehen ist, die insolvenzrechtlichen Mehrheiten anzuwenden. Somit hat auch das Restrukturierungsgericht Düsseldorf zu Recht die Anleihegläubigerversammlung zur Wahl eines gemeinsamen Vertreters nach den Regelungen der InsO und den Mehrheiten entsprechend § 76 InsO durchgeführt (AG Düsseldorf, Protokoll vom 29. Juli 2022 – 602 RES 1/22).

FAZIT

Die Restrukturierung von Anleihen ist ein komplexer und zeitintensiver Vorgang, bei dem der Emittent auf die Zustimmung zumindest der qualifizierten Mehrheit der Anleihegläubiger angewiesen ist. Der Emittent sollte sich daher in Krisenzeiten rechtzeitig Restrukturierungsexpertise an Bord holen und ein tragfähiges Restrukturierungskonzept entwickeln.

Autorenprofil
Dr. Christian Becker und Dr. Lutz Pospiech

Dr. Christian Becker(li.) ist Partner und Dr. Lutz Pospiechassoziierter Partner bei GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, München.

 

Vorheriger ArtikelSita übernimmt Asistim GmbH
Nächster ArtikelRekordwert bei Insolvenzen im Juli