Industrie 4.0 ist noch überwiegend ein Forschungsthema. Damit das nicht so bleibt, hat die erste „Konferenz Mittelstand 4.0“ in Darmstadt Theorie und Praxis zusammengebracht.
Es ist ein Thema, das derzeit viele umtreibt: Digitalisierung und Industrie 4.0. Deutschland hinke hinterher, meine die einen. Viel Lärm um nichts, so die anderen. Um Klarheit zu schaffen, haben der Verein IT for Work und die IHK Darmstadt gemeinsam die erste Konferenz Mittelstand 4.0 veranstaltet. Dass es dabei nicht nur um Online Shops geht, betonte Prof. Dr. Kristina Sinemus, Präsidentin der IHK Darmstadt. Beim Thema Industrie 4.0 müsse eine komplett neue Logistik im Hintergrund aufgebaut werden. Wie die aussehen könnte, zeigte eindrucksvoll Prof. Dr. Michael ten Hompel, geschäftsführender Institutsleiter am Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik in Dortmund. Ein sich selbst organisierendes Regallager, das mit Hilfe von Kugeldrohnen bedient wird. Fahrzeugschwärme, die völlig autonom agieren und wie durch Pheromonspuren ihren Weg finden – einem Ameisenhaufen gleich. ten Hompel war es auch, der die ethischen Aspekte dieser Art von künstlicher Intelligenz ansprach: Wer trägt am Ende die Verantwortung, Mensch oder Maschine? Keiner von beiden, so der Wissenschaftler, eine neue Kompetenz müsse aufgebaut werden, die beide nicht mehr als Gegensätze sieht. Dass sich der Begriff Industrie 4.0 noch zu sehr auf die Produktionsprozesse beziehe, bemängelte Prof. Dr. Joachim Metternich von der TU Darmstadt. Vielmehr gehe es um eine vollständige Vernetzung aller Produktzyklen, von der Kundenbestellung über die Herstellung bis zur Logistik. „Wo kann Digitalisierung helfen, den Kundennutzen zu verbessern?“ Das sei die Frage, die sich jeder Unternehmer stellen sollte.
Um Bewusstwerdung ging es auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Denn natürlich sei es so, dass die Stärken deutscher Unternehmen in der industriellen Fertigung liegen. Diese hätten das Land auch erfolgreich durch die Wirtschafts- und Finanzkrise gebracht. Verrenkungen, um digitale Geschäftsmodelle zu finden, müssen und sollten deutsche Unternehmen nicht unternehmen. Sie sollten sich aber vergegenwärtigen, was die Digitalisierung in einem Betrieb alles bewirken kann: In erster Linie bedeute sie Vernetzung. Studien gehen von einer Effektivitätssteigerung um bis zu 30 Prozent aus. Auch gehe es um Wertschöpfung: Unternehmen sollten Acht geben, diese nicht aus der Hand zu geben. Denn anders als früher findet sie nicht mehr allein über Produkte, sondern über digitale Distribution statt, sogenannte Plattformen. Immer weniger junge Leute wollten ein eigenes Auto. Stattdessen nutzen sie Apps und mobile Websites, um Autos zu teilen oder bestmöglich mit dem lokalen Nahverkehr zu kombinieren – so wie Gabriels Tochter. Wer hier einen Fuß in der Tür hat, kann gewinnen.
Wie das funktionieren kann, trug Dirk Breitkreuz, Geschäftsführer der Wetropa Group vor. Die Gruppe bietet Schaumstoffpolsterungen für Werkzeughersteller an. Früher vergingen Wochen, bis der Kunde nach umständlicher Abstimmung einen ersten Prototypen in der Hand hielt. Die Kosten: 400 Euro, das meiste davon nur für die Entwicklung. Heute konfigurieren die Kunden ihre Schaumstoffmodelle selbst – per App. Der Vorteil: Nun ist auch die Fertigung in kleineren Mengen bis hin zur Losgröße eins möglich. Nach drei Tagen hält der Kunde ein erstes Modell in der Hand. Durch die flexiblere Produktion können nun auch B2C-Kunden geworben werden. Wer einen alten Degen oder einen Pokal einschaumen lassen will, kann dies künftig über die App von Wetropa tun – ein neues Geschäftsmodell. „Disruptiv ist eine Technologie immer nur dann, wenn Unternehmen die Plattformen und somit die Technologie nicht für sich nutzen können“, so Gabriel. Die Wende, so der Minister weiter, sei für erfolgsverwöhnte deutsche Unternehmen dennoch epochal. www.konm40.digital
Verena Wenzelis war bis Juli 2016 Redakteurin bei der Unternehmeredition.