Seit Monaten leiden die Unternehmen unter der weltweiten Lieferkettenproblematik. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat die Situation nochmals verschärft. Wie wirkt sich das auf den Bereich Supply Chain Finance aus? Wir sprachen mit Markus Rupprecht, dem CEO von Traxpay, einer schnell wachsenden Plattform für Supply Chain Finance.
Unternehmeredition: Wie wirkt sich das aktuelle Lieferkettenproblem auf Supply Chain Finance aus?
Markus Rupprecht: Die globalen Lieferprobleme im Welthandel sind vielfältig. Die Wirtschaft ist mit einem massiven Anstieg der Rohstoffpreise sowie der Knappheit von wichtigen Vorprodukten konfrontiert. Gleichzeitig haben die geopolitischen Herausforderungen zugenommen. Jedoch zeigten einige Indikatoren in letzter Zeit leichte Verbesserungen bei Lieferzeiten und Inputkosten in der Industrie. Bisheriges Just-in-Time-Denken wird in Frage gestellt und auf Just-in-Case umgestellt. Der Höhepunkt in der globalen coronabedingten Lieferkettenkrise schien überwunden, obwohl die Lage angespannt bleibt. Eine Verschlechterung der globalen Lage ist jederzeit möglich, wie der Krieg in der Ukraine zeigt. Daher rückt die Frage in den Mittelpunkt, wie Lieferketten in Zukunft widerstandsfähiger werden können.
Ein wesentliches Element für robuste Wertschöpfung ist sicherlich ausreichendes Working Capital. Kernstück dabei ist die Sicherstellung von Liquidität. Viele Unternehmen glauben mindestens eine Liquiditätsquote von 60% erreichen zu müssen, um in Krisenzeiten den Fortbestand des Unternehmens sicherstellen zu können. In den Treasury-Abteilungen geht der Trend dabei hin zum Liquiditätsmanagement in der gesamten Lieferkette und nicht nur im eigenen Unternehmen. Die Liquidität der Lieferanten wird durch Supply-Chain-Finance (SCF)-Instrumente gestärkt. Empirische Studien belegen, dass die Nutzung von SCF-Instrumenten von möglichst vielen Teilnehmern die Widerstandsfähigkeit der Lieferkette steigert und zu überproportionalen Ertragsverbesserungen bei allen an den Wertschöpfungsprozessen Beteiligten führt.
Rücken dadurch andere Finanzierungsformen und -instrumente in den Vordergrund?
Ja, Supply-Chain-Finance-Instrumente wie Dynamic Discounting, Reverse Factoring, Digital Forfaiting & Digitale Garantien wurden in der Coronapandemie immer beliebter. Wie bereits gesagt ist Liquiditätssicherung das wichtigste Ziel der CFOs und Treasurer. 360°-Liquiditätsoptimierung wird zum komparativen Wettbewerbsvorteil! Durch die Kombination geeigneter SCF-Instrumente erzielt das Treasury den besten Liquiditätseffekt. Es gilt jedoch dabei zu berücksichtigen, dass sich die Rollen eines Unternehmens während des Wertschöpfungsprozesses wandeln. Einmal tritt das Unternehmen beim Einkauf von Waren und Dienstleistungen als Debitor auf. Ein anderes Mal als Kreditor, wenn die eigenen Produkte und Dienstleistungen verkauft worden sind. Außerdem ändert sich die Liquiditätsposition und die Bereitschaft (Zahlungs-)Risiken zu akzeptieren kontinuierlich. Somit müssen sich SCF-Instrumente den wechselnden Rollen sowie den Liquiditäts- und Risikopositionen anpassen. Ein einziges SCF-Instrument reicht dafür nicht aus. Stattdessen muss eine Vielzahl von SCF-Instrumenten genutzt und kombiniert werden, um den tatsächlichen Bedürfnissen der Nutzer gerecht zu werden. Denn nicht jede Herausforderung ist ein Nagel, der mit einem Hammer erfolgreich bearbeitet werden kann. Ferner müssen die Lösungen allen Beteiligten an der Wertschöpfung jederzeit zugänglich sein.
Welche Vorteile haben diese Instrumente?
Um Lieferanten zu stärken, bietet es sich an, digitale Plattformen wie Traxpay zur Lieferkettenfinanzierung zu nutzen. Hier hat der Lieferant die Wahl zwischen verschiedenen Supply-Chain-Finance-Instrumenten. Nutzt er zum Beispiel das digitale Produkt Dynamic Discounting, so ist der der Lieferant damit in der Lage, einfach, schnell und flexibel offene Rechnungen in Liquidität umzuwandeln. Das ermöglicht es ihm seinerseits, durch sofortige Zahlung Skonti zu nutzen sowie weitere Aufträge anzunehmen und damit noch mehr Umsatz, Ertrag und letztlich Liquidität zu generieren. Der Abnehmer wiederum nutzt seine eigene Liquidität und vermeidet dabei Verwahrentgelte. Sollte der Abnehmer seine eigene Liquidität nicht nutzen wollen, springt seine Bank ein und ermöglicht eine transaktionsbezogene Rechnungsfinanzierung. Eine Win-Win-Situation für beide Parteien. Aus Sicht der Banken beziehungsweise Finanzierungspartner ist sicherlich der größte Vorteil von SCF-Instrumenten, dass ihnen stets konkrete, realwirtschaftliche und oftmals selbstliquidierende Transaktionen mit kurzer Laufzeit zu Grunde liegen. Dies erhöht die Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten erheblich und reduziert die inhärenten Risiken deutlich.
Wir entwickeln stetig neue digitale Produkte, um für alle an der Wertschöpfung beteiligten Parteien Mehrwert zu sichern. In Zukunft erhalten Lieferanten die Möglichkeit, Rechnungen aktiv an Finanzpartner regresslos zu verkaufen. So „befreien“ sie die in Rechnungen mit Zahlungszielen gebundene Liquidität. Zum anderen reduzieren sie die Zahlungsrisiken gegenüber ihren Debitoren. Anfang März haben wir unser neuestes Produkt gelauncht: die Digitale Garantie: Lieferanten können auf Anfrage eine Zahlungsgarantie der Bank des Abnehmers zur Absicherung des Zahlungsrisikos erhalten. Der Abnehmer nutzt dabei seine eigene Bonität/Kreditlinien um eine bedarfsgerechte Alternative zur Warenkreditversicherung mit voller Kosten- und Verfügbarkeitskontrolle zur Verfügung zu stellen. Dies bietet ein enormes Potential für Umsatzwachstum dank besserer Konditionen durch Einräumung längerer Zahlungsziele bei gleichzeitiger Reduzierung des Abnehmerrisikos. In Kombination mit einem Dynamic Discounting und Reverse Factoring Programm wird darüber hinaus Liquidität generiert.
Zusammen mit Banken gestalten wir mehr digital abschlussfähige Trade-Finance-Produkte und bauen so das Angebot gemeinsam mit den Banken immer weiter aus. Neben der Deutschen Bank, der NORD/LB, der Raiffeisen Bank International der LBWW und der KfW IPEX-Bank sind bei uns schon weitere Player als Partner am Start.
Gibt es Supply-Chain-Finance-Instrumente, die zurzeit gar nicht nachgefragt werden?
Um diese Frage beantworten zu können muss zunächst geklärt werden, was man eigentlich unter Supply-Chain-Finance-Instrumenten subsumiert. Wir orientieren uns dabei an den Standarddefinitionen der International Handelskammer (ICC) sowie des Global Supply Chain Finance Forum (GSCFF). Zu den SCF-Instrumenten gehören Inkasso und Akkreditv. Diese beiden sogenannten Dokumentären Zahlungsinstrumente werden zwar nach wie vor genutzt, doch nimmt deren Bedeutung am internationalen Handel relativ ab. Dagegen steigt der Anteil der (internationalen) Handelstransaktionen, die auf offener Rechnungsbasis abgewickelt werden. Auf diesen Bereich fokussiert sich das Leistungsangebot von Traxpay. Ein Instrument ist dagegen tatsächlich (fast) bedeutungslos geworden: der Wechsel. Es gibt jedoch vielversprechende Initiativen, die den Wechsel und weitere dokumentäre Zahlungsinstrumente und Traditionspapiere digitalisieren wollen. Wir beteiligen uns an diesen Initiativen, da wir vom Mehrwert, den diese Instrumente bieten, überzeugt sind. Die Herausforderung liegt dabei im Übrigen nicht primär in der technischen Umsetzung, sondern in den notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen. Obschon die Vereinten Nationen in ihrem Uncitral-Regelwerk einen Modellrechtsrahmen definiert haben, fehlt es noch an der Umsetzung in nationale Gesetze.
Wie sind die Aussichten? Was könnte sich verändern, wenn sich die Lage wieder entspannt?
Die Unsicherheiten über die Aussichten für die Weltwirtschaft sind groß. Diese übertragen sich auch auf die Branche. Banken und Fintechs müssen auch in der Lieferkettenfinanzierung gemeinsame Wege gehen, damit die Treasurer und Treasury-Abteilungen 360°-Working-Capital-Lösungen nutzen können. Effiziente Mittel für die Optimierung der Cash-Conversion-Zyklen von Käufern und Lieferanten müssen bereitgestellt werden, um den effizientesten Weg für die Kapitalzufuhr in der Lieferkette zu finden. Durch die verschiedenen Formen der Lieferantenfinanzierung mit zusätzlichen Faktoren wie ESG können die Lieferanten ihren eigenen Cashflow und ihre Liquidität besser steuern und so zur Unterstützung des gesamten Ökosystems der Lieferkette beitragen. Wenn außerdem die Transparenz und die Überwachung von Zahlungen und Finanzierungen − einschließlich ESG-gesteuerter Lieferantenfinanzierungen − im gesamten Ökosystem der Lieferkette hinweg verbessert wird, tragen Plattformen wie Traxpay dazu bei, dass die Lieferketten von der ersten bis zur letzten Meile so effizient, sicher und robust wie möglich ablaufen.
ZUR PERSON
Markus Rupprecht ist CEO von Traxpay, einer schnell wachsenden Plattform für Supply Chain Finance. Er begann seine berufliche Laufbahn bei der Deutschen Bank und war danach bei verschiedenen Technologieunternehmen tätig. Im Jahr 2009 gründete er Traxpay, zu einer Zeit, als der Begriff FinTech noch gar nicht existierte. Die Idee: Eine “Platform of Choice” für Unternehmen, Lieferanten und Banken.