Die weltweite Halbleiterkrise sorgt bereits seit Monaten für massive Probleme auch in der deutschen Autoindustrie. Gerade hat das Münchener ifo-Institut gemeldet, dass sich der Materialmangel in der deutschen Industrie weiter verschärft habe. Inzwischen seien mehr als drei Viertel der Industrieunternehmen in Deutschland von Problemen bei der Beschaffung betroffen.
„Der Flaschenhals auf der Beschaffungsseite wird immer enger“, sagt der Leiter der ifo Umfragen, Klaus Wohlrabe. „Es sind viele Aufträge da, Unternehmen können diese gegenwärtig aber nicht produzieren“, ergänzt er. Besonders ernst – so das ifo-Institut – sei die Lage in der Autoindustrie, da hier 97% der Firmen über Probleme berichten. Die Auswirkungen dieser neuen Krise – im Prinzip ein Nachbeben der Coronapandemie – zeigen sich nun insbesondere im Automotive-Sektor.
1.000 Arbeitsplätze im Nürnberger Land gefährdet
Die Bolta-Werke GmbH aus Diepersdorf in Franken hat einen Insolvenzantrag gestellt. Zum vorläufigen Insolvenzverwalter hat das zuständige Amtsgericht in Nürnberg Volker Böhm bestellt von der Kanzlei Schultze & Braun. Weltweit verfügt das Unternehmen nach eigenen Angaben über 2.400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – in Deutschland sind rund 1.000 Beschäftigte betroffen. Aktuell laufe der Geschäftsbetrieb derzeit „ohne Unterbrechungen in vollem Umfang“ weiter. Über das Insolvenzgeld sind die Gehälter für drei Monate gesichert, bezahlt wird das von der Bundesagentur für Arbeit. In einem ersten Medienstatement erklärte Böhm: „Das Unternehmen verfügt über hochqualifizierte Mitarbeitende, hochmoderne Fertigungsverfahren und ein weitverzweigtes Vertriebsnetz. Das sind gute Voraussetzungen für eine erfolgreiche Neuaufstellung.“
Umsatz von 230 Mio. EUR
Die Bolta-Werke fertigen komplexe Bauteile und einzelne Komponenten wie Typenschilder und Zierleisten für zahlreiche Automobil-Premiummarken wie Audi, BMW, Ford, Mercedes Benz und Porsche. Das 1921 gegründete Unternehmen beschäftigt am deutschen Standort in Diepersdorf zurzeit rund 1.000 Arbeitnehmer. Insgesamt arbeiten weltweit rund 2.400 Mitarbeitende für die Bolta-Gruppe. Die internationalen Produktionsstätten befinden sich im US-amerikanischen Tuscaloosa (Alabama) und in Puebla (Mexiko). Die ausländischen Bolta-Gesellschaften sind nicht von der Insolvenz betroffen. Im vergangenen Jahr erwirtschaftete die Bolta-Gruppe einen Umsatz von insgesamt rund 230 Mio. EUR. Die Geschäftsführung sieht als Ursache für die aktuelle Schieflage des Unternehmens die Halbleiterkrise – es mangele an Chips. Einige Kunden hätten daraufhin den Abruf von Aufträgen verschoben, was zu einem massiven Umsatzeinbruch geführt habe. Finanziell habe man diesen nicht mehr auffangen können.
Scherm-Gruppe saniert sich in Eigenverwaltung
Die Scherm-Gruppe hat für eine ihrer Gesellschaften – die Logline Transporte GmbH – ein Schutzschirmverfahren beantragt. Das Amtsgericht Ingolstadt hat einem Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung zugestimmt. Den Sanierungsprozess begleitet der Rechtsanwalt Hubert Ampferl von der Kanzlei Dr. Beck & Partner, der zum vorläufigen Sachwalter bestellt wurde. Die Scherm-Gruppe mit Sitz in Karlskron im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen beschäftigt bundesweit an mehreren Standorten gut 1500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In der Tochtergesellschaft Logline sind 280 Beschäftigte tätig. Ein wichtiger Kunde dabei ist Audi in Ingolstadt. Durch den Rückgang der Produktion seien auch weniger Transporte erforderlich, was dann zur wirtschaftlichen Schieflage geführt hat. Der Geschäftsbetrieb läuft nach Angaben des Unternehmens aktuell ohne Einschränkungen weiter.
Bereits vor einigen Tagen hatte der Automobilzulieferer Heinze Insolvenz anmelden müssen. Auch hier wurde die Chipkrise aus Auslöser genannt. Diese betrifft nun auch die Linden Gruppe in Lüdenscheid. Das Unternehmen hat ebenfalls Insolvenz angemeldet.
Leasing-Unternehmen Vehiculum ist pleite
Ein weiteres Opfer der Halbleiterkrise in der Automotive-Industrie ist das Start-up Vehiculum. 2015 gegründet, hat es sich mit einer nutzerfreundlichen Online-Abwicklung von Leasing-Vermittlungen einen Namen gemacht. Nun hätten die langen Lieferzeiten bei Fahrzeugen dem Unternehmen schwer zugesetzt. Ein weiterer Auslöser für den Insolvenzantrag beim Amtsgericht Charlottenburg seien aber auch gescheiterte Gespräche mit Investoren gewesen.
Als Redakteur der Unternehmeredition berichtet Alexander Görbing regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Zu seinen Schwerpunkten gehören dabei Restrukturierungen, M&A-Prozesse, Finanzierungen sowie Tech-Startups.