Seit Beginn des Jahres existiert mit der vorinsolvenzlichen Sanierung ein drittes Werkzeug für die Restrukturierung von Krisenunternehmen. Inzwischen sind in Deutschland rund zehn abgeschlossene Verfahren bekannt. Wir stellen einen dieser Fälle vor.
Es ging um ein Hamburger Logistikunternehmen mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von rund 40 Mio. EUR, das durch die andauernde Coronapandemie und die daraus folgende schlechte Auftragslage in Schieflage geraten war. Die Umsätze waren um die Hälfte eingebrochen und eine kurzfristige Besserung nicht in Sicht. Bei der Frage der notwendigen Sanierungsmaßnahmen bestanden Meinungsverschiedenheiten zwischen den Gesellschaftern. Geplante Sanierungsmaßnahmen waren frisches Kapital, ein Forderungsverzicht in Millionenhöhe bei Gesellschafterdarlehen oder auch ein Rangrücktritt, um die Schuldenseite zu entlasten. Die internen Diskussionen zwischen den Gesellschaftern liefen nach Auskunft der späteren Sanierungsbetreuer etwa ein Jahr lang. Die Gefahr der Insolvenz war am Ende immens, weil das Unternehmen bilanziell erheblich überschuldet war. Es drohte zudem ein Versagungsvermerk für den Jahresabschluss 2019 durch den Abschlussprüfer der Gesellschaft. Dies wiederum hätte zu einer Herabstufung des Ratings der Gesellschaft geführt und dadurch auf der operativen Seite zudem die Akquise von Großaufträgen gefährdet.
Ohne StaRUG hätte Insolvenz gedroht
In dieser Situation entschloss sich ein Gesellschafter zu einer Restrukturierung nach dem neuen Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG). Betreut wurde dieser komplexe Fall durch zwei Kanzleien: Johlke Niethammer & Partner sowie BBL Brockdorff & Partner, welcher der vom Amtsgericht Hamburg bestellte Restrukturierungsbeauftragte Justus von Buchwaldt angehört. Auf der Seite der Gläubiger gab es mit Tochtergesellschaften sowie den beiden Gesellschaftern insgesamt drei Gruppen, deren Interessen offensichtlich nicht unter einen Hut gebracht werden konnten. Die Tochtergesellschaften waren nach vorbereitenden Gesprächen zu einem weitgehenden Verzicht auf ihre einfachen Restrukturierungsforderungen bereit. Sie hatten verständlicherweise ein besonderes Interesse am Fortbestand ihrer Muttergesellschaft, über die sie den Großteil ihrer Aufträge erhielten. „Ohne das StaRUG wäre es aller Voraussicht nach zur Beantragung und Eröffnung eines Regelinsolvenzverfahrens gekommen, da die Gesellschaft unmittelbar insolvenzrechtlich überschuldet gewesen wäre. Eine Eröffnung in Eigenverwaltung hätten wir aus Verfahrensgründen nicht angestrebt“, erklärte Dr. Jörg Grau von Johlke Niethammer & Partner.
Intensive Vorbereitung wichtig
Ziele der betreuenden Anwaltskanzleien waren eine schnelle Durchführung des Verfahrens sowie die Einigung auf eine langfristige Lösung, die dem Unternehmen eine solide Basis für einen Fortbestand verleiht, ohne dass es von einer hohen Schuldenlast erdrückt wird. „Wir haben uns lange mit der Vorbereitung des Verfahrens beschäftigt und dabei auch den sehr weiten Ermessensspielraum genutzt, den das StaRUG dem Schuldner als Ersteller des Restrukturierungsplans bei der Gestaltung der Gläubigergruppen einräumt. Dies war eine wichtige Basis für den späteren eigentlichen Prozess des Sanierungsverfahrens. Wir haben die fehlende Zustimmung der zweiten Gläubigergruppe – diese war erwartet worden – durch die Zustimmung der ersten und dritten Gruppe kompensieren können. Für die wirksame Annahme des Restrukturierungsplans ist allein die Mehrheit der abstimmenden Gruppen erheblich“, fährt Dr. Grau fort.
Verfahrensdauer von einem Monat möglich
Von der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens bis zur rechtskräftigen Planbestätigung hat das Verfahren zweieinhalb Monate gedauert. „Dieser Zeitraum kann meiner Einschätzung nach aber je nach Verfahren deutlich reduziert werden. Ich halte eine Dauer von einem Monat für machbar bei einer entsprechend intensiven Vorbereitung“, erklärt von Buchwaldt. Er sieht es auch als beträchtlichen Vorteil, dass das gesamte Verfahren jenseits der öffentlichen Wahrnehmung läuft. Dadurch sei es möglich, dass die Verhandlungen mit den involvierten Gläubigern ohne Einschränkung des operativen Geschäftsbetriebs und auch ohne Verunsicherung seitens der Kunden und Geschäftspartner stattfinden können. Der Makel der Insolvenz fällt weg – und damit meist auch die negativen Folgen eines Insolvenzverfahrens.
Fortbestand des Unternehmens gesichert
Die geringe Dauer des Verfahrens dürfe auch als großes Plus für das StaRUG gewertet werden – man bekomme schnell Klarheit. Die Kosten bezeichnet von Buchwaldt als „nicht unerheblich“, denn sie können je nach Verfahrensanforderung auch deutlich über 100.000 EUR liegen. Im Vergleich zu einem klassischen Insolvenzverfahren sei ein StaRUG-Verfahren aber deutlich günstiger. Im Falle des Logistikunternehmens wurde ein Beschluss des Restrukturierungsgerichts am Hamburger Amtsgericht erreicht (AZ: 61a RES 1/21).
Die Tochtergesellschaften sicherten den Fortbestand des Unternehmens durch einen Verzicht auf rund 40% der ursprünglichen Forderungen. Weiterhin wurden die Gesellschafterdarlehen komplett abgeschrieben. Um auch für die Zukunft den notwendigen finanziellen Spielraum zu haben, erfolgte durch den Einstieg eines Investors eine Kapitalerhöhung.
Für wen eignet sich das StaRUG?
Eintrittsvoraussetzung für ein StarRUG-Verfahren sei die drohende Zahlungsunfähigkeit. Im Falle einer tatsächlichen Zahlungsunfähigkeit ist es im wahrsten Sinne zu spät; hier hilft nur noch das klassische Insolvenzverfahren. „Die Umsetzbarkeit eines StaRUG-Verfahrens wird von der Akzeptanz der Gläubiger abhängen. Unsere Erfahrung in solchen Situationen ist, dass dort, wo das Vertrauen in die Geschäftsführung aufgebraucht ist, eine Sanierung durch das StaRUG sehr unwahrscheinlich wird“, sagt von Buchwaldt. Die neuen gesetzlichen Möglichkeiten werden dann eine Anwendung finden, wenn eine grundsätzlich mögliche Restrukturierung am Widerstand einzelner Gläubiger zu scheitern droht. Gerade widerspenstigen Kleingläubigern wird es auf diese Weise erschwert, Vorteile für sich herauszuschlagen, indem sie mit einem Insolvenzantrag drohen.
Möglichkeiten beschränkt
Zu beachten sei weiterhin, dass die Möglichkeiten des neuen Gesetzes dahin gehend recht beschränkt sind, dass beispielsweise Mietverträge oder Arbeitsverhältnisse unberührt bleiben müssen. Das StaRUG eigne sich daher im engeren Sinne nur für eine Restrukturierung von finanziellen Verbindlichkeiten wie Krediten, Anleihen und Gesellschafteranteilen. Sollte das Unternehmen neben einer drohenden Überschuldung auch weitere operative Probleme haben, durch Pensionslasten, zu hohe Mietverträge oder auch schlicht zu geringen Umsatz, dann ist ein Insolvenzverfahren der bessere und nachhaltigere Weg.
ZU DEN PERSONEN
Justus von Buchwaldt ist Restrukturierungspartner bei BBL Brockdorff & Partner (BBL). BBL gehört zu den bundesweit führenden Kanzleien mit Fokus auf Sondersituationen – Restrukturierung, Sanierung und Insolvenz. Mit rund 200 Mitarbeitenden ist BBL an mehr als 30 deutschen Standorten präsent. Justus von Buchwaldt wird seit 2004 regelmäßig an zahlreichen norddeutschen Insolvenzgerichten als Insolvenzverwalter und Sachwalter bestellt. Er berät Unternehmen in der Krise und begleitet diese in unterschiedlicher Funktion auch in Eigenverwaltungsverfahren.
Dr. Jörg Grau ist Rechtsanwalt im Insolvenz- und Gesellschaftsrecht bei Johlke Niethammer & Partner. Johlke Niethammer & Partner ist seit über 50 Jahren in der Insolvenzverwaltung tätig. Partner der Sozietät werden von Gerichten in Hamburg, Schleswig-Holstein, Bremen und Niedersachsen regelmäßig zum Insolvenzverwalter beziehungsweise Sachwalter bestellt. Dr. Jörg Grau ist seit dem Jahr 2006 als Rechtsanwalt im Insolvenz- und Gesellschaftsrecht sowie in der Restrukturierungsberatung tätig.
Dieser Beitrag erschien in der Unternehmeredition 2/2021.
Als Redakteur der Unternehmeredition berichtet Alexander Görbing regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Zu seinen Schwerpunkten gehören dabei Restrukturierungen, M&A-Prozesse, Finanzierungen sowie Tech-Startups.