Als BioNTech im Herbst vergangenen Jahres an die Börse ging, konnte noch niemand die darauffolgende Entwicklung vorhersehen. Inzwischen ist die BioNTech SE aufgrund der Impfstoffentwicklung gegen COVID-19 weit über den Biotechnologiesektor bekannt. Im Gespräch mit Helmut Jeggle, Geschäftsführer des Family Office der Familie Strüngmann und Aufsichtsratsvorsitzender der BioNTech SE, steht aber ein anderes Thema im Vordergrund: die Möglichkeiten deutscher Familienunternehmen am amerikanischen Kapitalmarkt und die damaligen Gründe von BioNTech für einen Börsengang an der Nasdaq. INTERVIEW PROF. DR. WOLFGANG BLÄTTCHEN
Blättchen: Warum gingen Sie mit BioNTech als Familienunternehmen an den amerikanischen Kapitalmarkt?
Jeggle: BioNTech war zum Zeitpunkt des Börsengangs an die amerikanische Nasdaq mehrheitlich in den Händen des wissenschaftlichen Gründers Ugur Sahin und der Familie Strüngmann als Finanzinvestor und Mitgründer. Um die Vision eines vollintegrierten biotechnologischen Unternehmens umzusetzen, benötigte es signifikant Kapital – dies wäre mit internen Mitteln aus dem Gesellschafterkreis oder mit einer europäischen Listung nicht möglich gewesen. Innerhalb des Aufsichtsrats waren wir der Überzeugung, dass Investoren, die auf den mRNA-Bereich spezialisiert sind, die weitere Expansion unterstützen können. Diese sind im Wesentlichen im amerikanischen Markt anzutreffen. Im Bereich Biotechnologie und Pharma ist der amerikanische Markt offener und mutiger, wenn es um neue Technologien geht. Allein im ersten Halbjahr 2020 flossen rund 30 Mrd. USD am amerikanischen Kapitalmarkt im Bereich Healthcare/Pharma/Biotech. Dadurch besteht eine relevante Marktbreite, die eine bessere Bewertungsmöglichkeit für Investoren und Unternehmen bietet.
Blättchen: Wieso haben Sie sich für eine direkte Struktur und nicht für eine indirekte über eine niederländische Holding entschieden?
Jeggle: BioNTech hatte die Vor- und Nachteile eines indirekten Wegs über eine niederländische Rechtsform sorgsam abgewogen. Vor allem bei kleineren Marktkapitalisierungen will man den Vorteil über eine solche niederländische Rechtsform nutzen, um möglichst nahe an der angelsächsischen Corporate Governance zu sein und die Flexibilität bei Kapitalmaßnahmen zu optimieren. Diese Vorteile sind nennwertlose 0,01 EUR pro Aktie, keine Notwendigkeit von ADS, bezugsrechtsfreie Emission deutlich über 20% des Grundkapitals sowie eine größere Abschlagsmöglichkeit zum Börsenkurs. Der Nachteil ist eine erhöhte Komplexität mit deutschen, niederländischen und amerikanischen Rechtsvorschriften, die über einen längeren Zeitraum auch kostenmäßig ins Gewicht fällt. Als europäische Aktiengesellschaft bewegte sich BioNTech schon beim Börsengang in der Größenklasse über 3 Mrd. USD, ist mit der dualistischen Governance an den Markt gegangen und präsentiert sich so auch für europäische Aktionäre, die sich über die deutschen Börsen beteiligen, in einem vertrauten Corporate Governance-Umfeld.
Blättchen: Wie wirkt sich die SE-Governance auf Ihre Rolle als Aufsichtsratsvorsitzender und Geschäftsführer des Family Office des Mehrheitsgesellschafters aus?
Jeggle: Als Aufsichtsrat ist es unsere Aufgabe, die Interessen aller Aktionäre zu vertreten. Deshalb treffen die Entscheidungen als Aktionär für das Family Office ausschließlich meine Kollegen in der Geschäftsführung der Athos KG, um jeglichen Interessenkonflikt zu vermeiden.
Blättchen: Was sagen die Investoren zu Ihrer Kapitalmarktstrategie? Welchen Stellenwert hat die Führungskräfte- und Mitarbeiterbeteiligung für ein Familienunternehmen?
Jeggle: Onkologie ist ein globales Thema und mit viel Leid für die Betroffenen und ihr Umfeld verbunden. Um für diese Indikation innovative Produkte mit unserer Plattformtechnologie zu entwickeln, bedarf es Zeit und einer langfristigen, signifikanten Finanzierung. Diese lässt sich ab einer gewissen Summe nur noch über den Kapitalmarkt realisieren. Darüber hinaus sind wir sehr optimistisch, mit unserer Entwicklungsstrategie und der vertikalen Integration mit BioNTech in den kommenden Monaten signifikant zur Lösung gegen die Verbreitung von COVID-19 beitragen zu können. Deshalb müssen wir darauf Acht geben, neben der Forschung und Entwicklung auch in den Bereichen der Distribution, Produktion und Lieferung vorbereitet zu sein, um nach der Zulassung einen Impfstoff zur Verfügung stellen zu können. Zudem wird es für BioNTech möglich sein – aufgrund der vorhergegangenen Kapitalmarktmaßnahmen ohne eine weitere Kapitalmaßnahme –, den Impfstoff gemeinsam mit Pfizer und Fosun Pharma nach Erhalt der Zulassung zu vertreiben.
Mitarbeiter und Führungskräfte mit einfachen Instrumenten und fungiblen Papieren (Optionen) zu beteiligen ist ein erheblicher Vorteil für die Unternehmenskultur. Dadurch werden die Mitarbeiter zu Mitgesellschaftern und können sich viel besser mit dem Unternehmen und den Produkten identifizieren. Sie werden zu Investoren und Unternehmern, deren Entscheidungen und Einsatz für sie selbst unmittelbar Auswirkungen hat.
Blättchen: Die deutschen Privatanleger sind über die Regionalbörsen stark engagiert in Ihrer Aktie. Ist es nicht sinnvoll, auch in Europa eine offizielle Börsenzulassung anzustreben („Dual Listing“)?
Jeggle: Auch wenn es durch zwei Aufsichtsbehörden mit einer höheren Komplexität und höheren Kosten verbunden ist, könnte ich mir als internationales Unternehmen mit deutschen Wurzeln grundsätzlich ein duales Listing mittelfristig vorstellen. BioNTech hat seit der Gründung die Vision, für Patienten im Bereich Onkologie und Infektionskrankheiten neuartige Medikationen zu entwickeln. Da solche Krankheiten grundsätzlich jeden von uns treffen können, hoffe ich, dass viele Anleger auch die Vision von BioNTech unterstützen und BioNTech langfristig zu einer Volksaktie wird.
ZUR PERSON
Helmut Jeggle ist Mitgründer der BioNTech SE (vormals BioNTech AG) sowie seit der Gründung 2008 Vorsitzender des Aufsichtsrats derselben und seit 2015 als Geschäftsführer und persönlich haftender Gesellschafter bei der Athos KG (Family Office der Familie Strüngmann). Von 2007 bis 2015 leitete Jeggle den Bereich Direktinvestitionen des Family Office. In den Jahren 2002 bis 2007 hatte er verschiedene Positionen bei der Hexal AG inne, unter anderem als Leiter Business Planning & Analysis. Er ist zudem Geschäftsführer der Salvia GmbH (seit 2014), wo er als Business Angel agiert, und ist Mitglied in zahlreichen Aufsichtsräten, darunter der 4SC AG. Jeggle ist Diplom-Betriebswirt und hat einen Master of Business Administration (MBA) vom Stuttgarter Institut für Management und Technologie.
Dieses Interview ist in der FuS 6/2020 erschienen.
Prof. Dr. Wolfgang Blättchen ist Gastautor.