Nach Berechnungen des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) ist die Zahl der Insolvenzen von Personen- und Kapitalgesellschaften im März erneut gestiegen. Die neue Analyse der Wirtschaftsforscher zeigt, dass auch für die nächsten Monate eher mit steigenden Insolvenzzahlen zu rechnen ist. Vor allem in der Industrie seien seit Jahresbeginn ungewöhnlich viele Jobs betroffen.
Die Zahl der Insolvenzen von Personen- und Kapitalgesellschaften in Deutschland liegt laut dem neuen IWH-Insolvenztrend im März bei 775. Das sind 10% mehr als im Februar und knapp 30% mehr als im Januar. Die Frühindikatoren des IWH ließen für die kommenden Monate leicht steigende Insolvenzzahlen erwarten. Laut der Analyse seien in den größten 10% der Unternehmen, deren Insolvenz im März gemeldet wurde, mehr als 7 700 Jobs betroffen waren. Die Zahl der betroffenen Jobs liege damit deutlich über dem Durchschnitt des Jahres 2021.
Steigende Zahlen werden erwartet
„Das Insolvenzgeschehen wird seit mehreren Monaten deutlich stärker vom Verarbeitenden Gewerbe geprägt. Industrieunternehmen sind von Lieferkettenproblemen und dem technologisch-ökologischen Strukturwandel besonders betroffen“, sagt Steffen Müller, Leiter der IWH-Abteilung Strukturwandel und Produktivität. Die Auswirkungen des Ukrainekrieges seien in den aktuellen Zahlen noch nicht abgebildet. Für die kommenden Monate rechnet das IWH damit, dass die gestiegenen Energiekosten infolge des Krieges die Industrie stark belasten. Der IWH-Insolvenztrend basiert auf der Auswertung der die aktuellen Insolvenzbekanntmachungen der deutschen Registergerichte. Diese Zahlen liegen meist zwei Monate vor den endgültigen amtlichen Zahlen des Statistischen Bundesamtes (Destatis). Der IWH-Insolvenztrend bezeichnet sich selbst als einen Frühindikator.
Anstieg der Insolvenzen im März um 27%
Inzwischen hat Destatis reagiert und veröffentlicht auch „vorläufige“ Zahlen. Demnach sind die beantragten Regelinsolvenzen in Deutschland im März 2022 um 27,0% gegenüber dem Vormonat gestiegen. Bereits im Februar 2022 waren die Insolvenzanmeldungen um 4,2% gestiegen. Die Insolvenzzahlen waren im Verlauf der Coronapandemie durch gesetzliche Sonderregelungen und Wirtschaftshilfen zeitweise deutlich zurückgegangen. Seit Mai 2021 sind keine Sonderregeln aufgrund der Coronapandemie mehr in Kraft – es gab lediglich noch Ausnahmen für Firmen, die von der Hochwasserkatastrophe im Sommer 2021 betroffen waren.
Energiekosten werden zu einem Problem
Nach den „amtlichen“ Zahlen von Destatis, die bisher nur für Januar vorliegen, zeigt sich Januar 2022 immer noch kein größerer Anstieg. Folgen des Ukrainekrieges oder hohe Belastungen durch ungebrochen stark steigende Energiepreise sind in diesen Zahlen noch nicht zu erkennen. Gegenüber dem Vormonat sanken die Insolvenzen um 4,6%. Noch deutlicher fällt der Rückgang im Vergleich zur Zeit vor der Coronapandemie aus: Die Zahlen sanken um 34%. „Eine echte Trendwende bei den niedrigen Insolvenzzahlen ist derzeit noch nicht absehbar. Die veröffentlichten Zahlen erstrecken sich auf den Zeitraum vor dem Ausbruch des Ukrainekrieges. Dessen Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft bilden diese Zahlen deshalb noch nicht ab. Selbst die Prognose von Destatis für März 2022 bewegt sich in den üblichen Jahresschwankungen“, so Dr. Christoph Niering, Insolvenzverwalter und Vorsitzender des Berufsverbandes der Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands (VID).
Erste Anzeichen für einen Anstieg
Es gäbe allerdings erste Anzeichen für einen künftigen Anstieg der Insolvenzzahlen, denn Mitgliedsunternehmen des VID verspürten einen erhöhten Beratungsbedarf – vor allem bei energieintensiven Unternehmen. Die stark gestiegenen Energiepreise könnten für viele Unternehmen zur Existenzbedrohung werden. „Für viele Unternehmen wird eine Verdoppelung der Energiekosten bereits zu einer untragbaren Belastung. Die von der Bundesregierung vorgestellte Energiekostenförderung wird bei einem länger anhaltenden Energiepreisschub viele drohende Insolvenzen gerade im Mittelstand nicht verhindern können“, so Niering.
Beitrag der Pensionssicherungsvereins sinkt
Das Absinken der Insolvenzanmeldungen während der Zeit der Coronapandemie hat jetzt für viele Firmen eine positive Auswirkung. Der Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) erklärte bei Vorlage seines Geschäftsberichtes, dass das Schadensvolumen von 1,59 Mrd. EUR auf nunmehr 725 Mio. EUR reduziert werden konnte. Die Anzahl der sogenannten Sicherungsfälle sank ebenfalls um rund die Hälfte auf 282. Aufgrund dieser Entwicklung wurde der Beitragssatz für 2021 auf 0,6 Promille festgesetzt, der niedrigste Wert seit 2016.
Als Redakteur der Unternehmeredition berichtet Alexander Görbing regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Zu seinen Schwerpunkten gehören dabei Restrukturierungen, M&A-Prozesse, Finanzierungen sowie Tech-Startups.