Wenn Fusionen oder Übernahmen scheitern, hängt das nachweislich häufig mit den Persönlichkeiten der Fach- und Führungskräfte in den verschmolzenen Unternehmen zusammen. Woran das liegt und wie man M&A in der Post Merger Integration auch auf der persönlichen Ebene erfolgreich gestalten kann, erläutert Michael Schäfer von Mercuri Urval im Interview.
Unternehmeredition: Herr Schäfer, viele Übernahmen scheitern im Nachhinein am Integrationsprozess. Wo liegen die entscheidenden Stellschrauben?
Schäfer: Wir haben gemeinsam mit der Universität St. Gallen eine Studie erstellt, die allgemein die kritischen Punkte bei Übernahmen untersucht: Zu 80% liegen die Probleme, die sich in den ersten zwölf Monaten eines Mergers oder einer Integration ergeben, im Bereich der Führungskräfte der ersten und zweiten Ebene. Bei deutsch-chinesischen Transaktionen ist das noch mal deutlich kritischer zu sehen. Unsere Erfahrung ist, dass jeder sechste Merger mit deutschen und chinesischen Unternehmen scheitert. Jede dritte Fusion hat in den ersten zwölf Monaten der Integration deutliche Schwierigkeiten, produktive Ergebnisse zu erzielen.
Unternehmeredition: Also überwiegen diese Probleme den erhofften Nutzen der Fusion?
Schäfer: Man übernimmt ja nicht nur die Technologie. Zumindest in der Anfangs- und Übergangsphase will der Käufer auch vom deutschen oder europäischen Know-how profitieren. Das wird viel zu wenig beachtet. Insbesondere chinesische Investoren sind sehr auf den Technologieerwerb fokussiert. Mittlerweile versuchen sie auch, die wichtigsten Fach- und Führungskräfte mit teilweise sehr interessanten Gehaltsmodellen zu binden. Das ist jedoch häufig nicht sehr nachhaltig, weil Kommunikation ein zentrales Kernproblem ist. Es beginnt schon auf der sprachlichen Ebene: Englisch wird zwar von den Europäern meistens beherrscht, chinesische Führungskräfte sind da aber häufig nicht sehr sicher.
Unternehmeredition: Der Schlüssel ist die Kommunikation…
Schäfer: Noch wichtiger als die sprachliche Fähigkeit ist die Art der Kommunikation. Die Führungskultur in Europa ist extrem gegensätzlich zu China. Der chinesische Facharbeiter zum Beispiel erwartet morgens eine klare Ansage. Diese Gewohnheit übertragen die chinesischen Unternehmer auf die Führungsebene des deutschen Unternehmens: Sie führen sehr hierarchisch, was selbst bei konservativen deutschen Unternehmen sehr irritiert. Sie bestellen z.B. die deutsche Geschäftsführung in die chinesische Zentrale und sagen ihr dort, was zu tun ist. Es kann auch passieren, dass Entscheidungen der chinesischen Führung der deutschen Seite nicht mitgeteilt werden – entweder weil das Vertrauen fehlt oder weil es einfach vergessen wird.
Unternehmeredition: Wie können solche Kommunikationsprobleme am besten vermieden werden?
Schäfer: Bereits in der Due-Diligence-Phase sollten auch die wichtigsten Persönlichkeiten auf beiden Seiten unter die Lupe genommen werden. Finanzen, Steuern und häufig auch die technischen Begebenheiten werden sehr genau überprüft. Dabei wird aber gefährlich außer Acht gelassen, dass die Persönlichkeiten der Führungsebenen von Käufer und Verkäufer nicht immer zusammenpassen – was dann zu der hohen Quote von gescheiterten Übernahmen führt. Wenn dagegen die HR-Due-Diligence der Persönlichkeiten sehr gründlich geschieht, kann man potenzielle Konfliktherde frühzeitig erkennen, analysieren und vermeiden. So lässt sich die Produktivitätsphase eines Mergers deutlich früher erreichen. Das haben wir auch wissenschaftlich belegt.
Unternehmeredition: Was passiert, wenn die Persönlichkeiten nicht zusammenpassen?
Schäfer: Dann muss das Personal an der einen oder anderen Stelle gewechselt werden. Wenn der Geschäftsführer in Deutschland sehr wichtig ist, sollte der vielleicht einen anderen Ansprechpartner auf chinesischer Seite bekommen – für den Fall, dass sich ansonsten Reibungen ergeben würden.
Unternehmeredition: Bei vielen deutschen Unternehmen, die von chinesischen Investoren übernommen wurden, blieb das Management fast unverändert an Bord. Ein sinnvoller Schachzug?
Schäfer: Absolut. Bei den wenigen Erfolgsbeispielen führen die Chinesen mit einer langen Leine, was ihnen kulturell sehr schwer fällt. Die Chinesen brauchen ja in der Regel sehr lange, bis sie Vertrauen aufbauen. Doch wenn das deutsche Management nahezu unverändert an Bord bleibt, sind die Übernahmen nachweislich am erfolgreichsten.
Unternehmeredition: Wie reagieren Fachkräfte unterhalb der oberen Führungsebenen auf Übernahmen durch chinesische Investoren?
Schäfer: Teilweise ist das ein intellektuelles Problem: Gerade bei den Fachkräften, die nicht in die Verhandlungen involviert waren, kann die Ankündigung einer Übernahme den Aufbau eines Schreckensszenarios bewirken. Sie befürchten, dass sie in ihren Befugnissen beschnitten werden, und so findet eine deutliche Wechselorientierung statt. Das ist umso tragischer, weil damit – insbesondere bei Fachingenieuren im Maschinenbau – viel Fachkenntnis verlorengehen könnte. Selbst das örtliche Management kann unserer Erfahrung nach diese Fachkräfte kaum beruhigen. Deshalb kann es sinnvoll sein, aus den Fachkräften einen Merger-Beauftragten – idealerweise aus dem Betriebsrat – zu benennen. Er sollte das Vertrauen der Fachkräfte genießen und in der frühestmöglichen Phase in die Übernahmeverhandlungen einbezogen werden.
Unternehmeredition: Welche Rolle spielt der deutsche Betriebsrat in Verhandlungen mit chinesischen Investoren?
Schäfer: Der deutsche Betriebsrat ist für Chinesen eine rätselhafte Institution. Es gab schon laienhafte Versuche, ihn auszuhebeln. Das ist dann eine sehr kritische Phase. Auch hier kann die richtige Person und die richtige Kommunikation auf beiden Seiten Konflikte vermeiden und früher zu gemeinsamen positiven Ergebnissen führen.
Unternehmeredition: Herr Schäfer, vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch!
Das Interview führte Oliver Bönig.
Oliver Bönig ist seit 2008 Redakteur des GoingPublic Magazins und seit 2010 des HV Magazins. Seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Investor Relations sowie kapitalmarktrechtlichen Fragestellungen.