Unternehmeredition: Worauf kommt es bei einer familieninternen Nachfolge vor allem an?
Reiß: Da die Unternehmerkinder heute durchgehend eine exzellente Ausbildung erhalten, erhöht sich deren Potenzial an Möglichkeiten. So stellt sich die Frage mehr als früher, ob die Zukunft von Sohn oder Tochter innerhalb oder außerhalb des elterlichen Unternehmens liegt. Ein möglicher Weg für die Junioren ist, nach dem Studium zunächst Erfahrungen in völlig anderen Branchen zu sammeln – nicht in befreundeten Betrieben – und erst später eine Führungsrolle im eigenen Familienunternehmen zu besetzen. Das ist ein gutes Modell, und es wird heute häufig so gemacht. Wer gleich nach dem Studium im elterlichen Betrieb startet, muss später als Führungsperson täglich um seine Anerkennung kämpfen. Das größte Problem beim Stabwechsel ist, von den Mitarbeitern nicht als Chef akzeptiert zu werden. Wer seine Sporen außerhalb verdient, verschafft sich Respekt. Man wird nicht Chef, weil man Sohn oder Tochter, sondern weil man ein qualifizierter Fachmann ist. Das ist ein wichtiger Punkt – vorausgesetzt, der Sprössling hat überhaupt Interesse daran. Aber selbst im negativen Fall gibt es noch die Möglichkeit, in die Besitzstruktur zu wechseln.
Unternehmeredition: Wie schätzen Sie die aktuelle Finanzierungssituation bei der Unternehmensnachfolge ein?
Reiß: Im vergangenen Konjunkturaufschwung gab es beste Bewertungen für gute Mittelständler, Private-Equity-Gesellschaften zeigten reges Interesse, und auch die Banken waren freigiebig. Heute ist das anders. Deswegen werden Unternehmer mit dem Verkauf ihres Lebenswerkes eher auf den nächsten Aufschwung warten, um bessere Preise zu erzielen. Eine Kreditklemme sehe ich aber in dem Mittelstandssegment, von dem ich hier rede, nicht. Sicher haben sehr kleine Firmen ein Kreditproblem, aber das hatten sie schon immer, und außerdem herrscht eine Fremdkapitalknappheit bei den ganz Großen. Im Mittelstand hat es immer gute und schlechte Firmen gegeben, und dieses Verhältnis hat sich durch die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise nicht wirklich geändert. Die guten Firmen finanzieren sich generell vor allem aus dem Cashflow und haben einen geringen Kreditanteil. Unabhängigkeit ist eines der höchsten Güter von Unternehmern – nichts hassen sie mehr, als von Bankern abhängig zu sein. Dann gibt es natürlich die Sanierungsfälle – aber auch die gab es immer. Derzeit stecken besonders Automobilzulieferer und Maschinenbauer in Schwierigkeiten, das gilt nicht für alle Branchen. Hier versucht man zunächst, die harten Zeiten mit Sparen, Kurzarbeit und dem Zehren von Reserven zu überbrücken.